Bitter Gold

Chile, Mexiko, Uruguay, Deutschland 2024
Originaltitel: Oro Amargo, 83 Minuten
Regie: Juan Francisco Olea
Mit: Katalina Sánchez, Francisco Melo, Michael Silva, Daniel Antivilo, Moisés Angulo u. v. m.
Filmstart: 21. August 2025
jip film & verleih

Thomas Volkmann

Glückauf in einer gesperrten Mine

Minenarbeit ist Männersache. In Juan Francisco Oleas Neo-Western, einer chilenisch-deutschen Co-Produktion, muss nun die Tochter eines Grubenführers in die Stollen steigen, nachdem ihr Vater bei einem Zwischenfall verletzt worden ist. Doch statt in dunklen Höhlen herumzukraxeln und nach Erzen zu suchen, träumt die 16-Jährige von einem Leben am Meer.

Früher wären sie vielleicht reitend auf dem Rücken eines Pferdes zur Arbeit erschienen. Bei Juan Francisco Olea kommt der (besoffene) Taglöhner mit dem Fahrrad zum Treffpunkt inmitten der weiten, sandigen und bergigen Atacama-Wüste im Norden Chiles. Auf der Ladefläche eines Pick-Up geht’s zur Mine. Die Arbeit ist hart, wird schlecht bezahlt. Die Laune hebt das nicht. Es scheint absehbar, dass der Taglöhner Stress machen wird. Als die 16-jährige Carola ihren Vater eines Nachts in eine gesperrte Mine, in der er Gold vermutet, begleitet, ahnen sie nicht, dass Troubleshooter Humberto ihnen folgt. Und zwar mit gravierenden Folgen. Vorübergehend muss Carola das Kommando für den väterlichen Arbeitstrupp übernehmen. Nicht leicht in einer Gesellschaft, in der Männer der Meinung sind, die Frau gehöre an den Herd. Tatsächlich aber ist genau dies zunächst Carolas Job, indem sie den Männern das Mittagessen zubereitet. Nachdem der Vater ausfällt, tun sich die Arbeiter schwer, Befehle und Arbeitsanweisungen von ihr anzunehmen. Und noch komplizierter wird es, als die Abwesenheit des Vaters und auch das Verschwinden von Humberto dauerhaft verheimlicht werden müssen und weitere unangenehme Zeitgenossen aufkreuzen.

Der tonangebende Konflikt dieses eine feministische Perspektive einnehmenden Dramas ist schnell gesetzt. Umso mehr lässt sich Regisseur Olea anschließend Zeit, den sich vor allem innerlich vollziehenden Kampf der jungen, sich gegen patriarchalische Strukturen und brutale Gesetze widersetzenden Frau und wie diese einen Schlüssel zur Selbstermächtigung für ein neues Leben findet, zu schildern. Die Ökumenische Jury des Filmfestivals von Warschau, bei dem Bitter Gol“ im Zuge seiner Weltpremiere 2024 einen Preis gewann, verglich die tiefgreifenden Veränderungen mit der Auferstehung Christi aus den Tiefen der Hölle hinab, um daraus gestärkt hervorzugehen. Weiter hieß es in der Begründung: „Manchmal können die schlimmsten Tragödien zu Chancen werden.“ Zur Atmosphäre des Films tragen neben der spannenden Dramaturgie auch Bilder großartiger Landschaften und ein moderner, von Electrosounds untermalter Score bei. Schön am Ende, dass im Angesicht des Unmöglichen die Hoffnung bleibt. Das Bild eines durch die Wüste fahrenden Motorrades bringt dies treffend zum Ausdruck.

Klandestin

Deutschland 2024, 124 Minuten
Regie: Angelina Maccarone
Mit: Barbara Sukowa, Lambert Wilson, Banafshe Hourmazdi, Habib Adda, Katharina Schüttler
Start: 24. April 2025
Verleih: Farbfilm

Thomas Volkmann

Klandestin

Vier Menschen, vier Biografien: in Angelina Maccarones zeit- und gesellschaftspolitischem Thriller Klandestin kreuzen sich ihre Wege, teils unfreiwillig, teils ungeplant. Im Kern geht es um eine Haltung zur Frage von Einwanderung und das Verfolgen von Lebensträumen. Maccarone hat ihren Film in Kapitel unterteilt, in denen die Erzählung jeweils die Perspektive von einer der vier Figuren einnimmt. Im ersten gelingt es dem jungen Marokkaner Malik (Habib Adda), sich im Lieferwagen des britischen Künstlers Richard (Lambert Wilson) zwischen Gemälden zu verstecken und unerkannt nach Frankfurt zu gelangen, wo Richard zu einer Ausstellung eingeladen ist. Mathilda (Barbara Sukowa), eine Freundin des Künstlers, lässt sich breitschlagen und gewährt Malik Unterschlupf, wissend, dass dies sie als gegen illegale Einwanderung eintretende Europa-Politikerin in Schwierigkeiten bringen könnte. Ihre junge Assistentin Amina (Banafshe Hourmazdi), in Deutschland als Kind marokkanischer Eingewanderter aufgewachsen, kommentiert das Versteckspiel immer wieder mit kritischen Blicken.
Mit zur Spannung trägt bei, dass Videokameras im städtischen Raum Bilder von Malik festhalten und ihn mit Personen zeigen, die im Verdacht stehen, einen Terroranschlag verantwortet zu haben. Dabei geht es ihm um nicht mehr als schnell nach Berlin zu gelangen, wo er sich als Rapper verwirklichen will. In den Medien wird der Anschlag derweil zum Anlass genommen, über die Arbeit von Frontex und die Wirksamkeit von Pushbacks an den Grenzen zu debattieren. In der Begegnung zwischen der konservativen Europaabgeordneten Mathilda und Malik treten neben der offenkundigen Symbolik „altes Europa versus arabischer Frühling“ auch Grautöne zutage.
Durch die Verschiebung der Blickwinkel werden Geheimnisse, die die Figuren voreinander haben, nach und nach enthüllt, ihre Sehnsüchte offenbart, Vorurteile gegeneinander ausgespielt und wie in einem Puzzle zu einem vielschichtigen Gesamtbild zusammengefügt. Letztlich sind alle vier in ihrer Einsamkeit und Entwurzelung untergründig verbundener als sie ahnen. Angelina Maccarone, Tochter eines Italieners und einer Deutschen, entwirft ganz nebenbei auch ein Bild einer gespaltenen Gesellschaft und einer globalisierten Welt, in der scheinbar unverbundene Schicksale auf komplexe Weise miteinander verwoben sind. Niemand kann sich entziehen, alle sind gefordert, Stellung zu beziehen.

Die Barbaren – Willkommen in der Bretagne

(Originaltitel: Les Barbares)
Frankreich 2024, 101 Minuten
Regie: Julie Delpy
Mit: Julie Delpy, Sandrine Kiberlain, Laurent Lafitte, Zied Bakri, Jean-Charles Clichet, Rita Hayek, India Hair u.v.m.
Start: 26. Juni 2025
Verleih: Weltkino

tv

Wählerische Gastgeber

Wer genau hinschaut, wird in Julie Delpys Culture-Clash-Komödie Die Barbaren –Willkommen in der Bretagne viele Figuren, Grabenkämpfe und Alltagssituationen erkennen, die typisch sind für Geschichten aus dem Gallierdorf von Asterix und Obelix. Bei Delpy sorgt nun die Ankunft einer syrischen Familie für ordentlich Aufregung unter den Bewohner*innen. Denn erwartet hätten sie viel lieber ukrainische Geflüchtete.  Den Akt der gemeinschaftlichen Solidarität lässt nach Abstimmung durch den Gemeinderat der bretonischen Provinzgemeinde Paimpont der Bürgermeister bereits medienwirksam festhalten, selbst der nationalistisch eingestellte Klempner hat die Aufnahme von Menschen aus der Ukraine abgenickt. Doch dann stellt sich heraus: es gibt wohl einen „Lieferengpass“, wie es heißt, seien die in Frankreich angekommenen Ukrainer*innen bereits verteilt auf andere Städte und Gemeinden. „Sie sind heiß begehrt auf dem Markt“, kommentiert dies der Bürgermeister mit einem verlegenen Schulterzucken – um nachzuschieben: „Zu uns kommt stattdessen nun eine syrische Familie.“

„Dafür haben wir nicht gestimmt“, melden sich prompt die ersten, betonen zugleich aber, grundsätzlich ja nichts gegen „Araber“ zu haben, wobei sich der Metzger sorgt, sie würden seine Wurst nicht kaufen. Andere stört bereits die Aussicht auf verschleierte Frauen, andere fürchten eine Invasion an Terroristen. Dass die Frauen der sechsköpfigen Familie Fayad keinen Schleier haben, ist dann aber ebenso verdächtig. Französisch haben sie bereits im Aufnahmelager ganz gut gelernt, kennen aus Damaskus sogar noch die Chansons von Dalida. Ihre Integrationswilligkeit wird zunächst komplett ignoriert.

Julie Delpy, die nicht nur Regie führte und auch am Drehbuch mitwirkte, spielt eine Lehrerin, die klar auf Seiten der Neuankömmlinge steht. Andere Figuren sind da wankelmütiger, was teils zu unterhaltsamen Konflikten untereinander führt, gleichzeitig deren menschliche Schwächen wie Vorurteile und fehlende Toleranz entlarvt. Auch was die syrische Familie an Traumata erlebt hat, wird angeschnitten. Delpy verliert dabei nie die Empathie für ihre Protagonist*innen, weshalb die satirisch überzeichneten Klischees zugleich als kritische Reflexion verstanden werden können. Aufgeteilt ist die Komödie in fünf Akte, die jeweils mit der Abbildung historischer Unterdrückungs- und Befreiungsszenen aus der reichhaltigen französischen Kolonialgeschichte beginnen. In Summe liefert der Film ein ebenso unterhaltsames wie überzeugendes Plädoyer für Menschlichkeit und ein friedliches Zusammenleben.

Black Tea

Frankreich, Mauretanien, Luxemburg, Taiwan, Côte d‘Ivoire 2024, 111 Minuten
Regie: Abderrhamane Sissako
Mit: Nina Mélo, Chang Han, Wu Ke-Xi, Michael Chang
Start: 19. Mai 2025
Verleih: Pandora Film

tv

Ein neues Leben in Chocolate-City

Eine Frau hat den Mut und verweigert am Tag ihrer Hochzeit das Ja-Wort. Ihre Zukunft sieht sie nicht in ihrer Heimat Elfenbeinküste, sondern in der chinesischen Diaspora. In Abderrhamane Sissakos Black Tea arbeitet sie in der Millionenstadt Guangzhou, wo bereits eine größere afrikanische Community lebt, als Verkäuferin in einem Teegeschäft – und fühlt sich bald schon vom chinesischen Ladenbesitzer angezogen. Guangzhou war und ist aufgrund seiner Lage am Perlfluss-Delta unweit des Südchinesischen Meeres der Ausgangspunkt der „Seidenstraße auf dem Meer“. 1711 errichtete die Britische Ostindien-Kompanie hier einen Handelsposten. Tee mag dabei ganz sicher eine Rolle gespielt haben. Für die Wirtschaft ist die Region heute Chinas Tor zur Welt und gilt als Marktplatz für chinesische Billigware, die dort eingekauft und nach Afrika verschifft wird. Chinas fehlende Tradition als Einwanderungsland erschwert dabei jedoch die Integration und begünstigt Rassismus. So bezeichnen Einheimische das afrikanische Viertel von Guangzhou spöttisch als „Chocolate City“ – was gelegentlich auch in Szenen von „Black Tea“ zum Ausdruck kommt. So richtig aus dem Vollen schöpfen kann der in Mauretanien geborene und in Mali aufgewachsene Regisseur Abderrahmane Sissako hier allerdings nicht, wurde ein Großteil an Szenen doch in Taiwan gedreht, was dem Ansinnen, von der afrikanischen Diaspora in China zu erzählen, in diesem Punkt klar entgegenläuft. Sissako macht dies aber mit wundervollen, mal farbenfrohen Bildern von Natur und Teeplantagen, dann wieder nächtlichen Lichterstimmungen in der Stadt, wieder wett. Manchmal erinnern Szenen gar an Wong Kar-Wai.

Auf der Handlungsebene dieses feinfühligen Films steht die interkulturelle Romanze im Vordergrund. Bemerkenswert ist immer wieder, wie die zeremoniell Teezubereitung inszeniert wird. Die sich leise anbahnende Beziehung zwischen den beiden Teeliebhabern wird in Anbetracht einer geheimnisvollen Vergangenheit des Chinesen sowie der Vorurteile anderer auf eine harte Probe gestellt. In Summe ist Black Tea ein poetisches Liebesdrama, durchwoben von Menschlichkeit und einer tiefen Liebe zu seinen Figuren – und versehen mit einem Blick auf die Verflechtung der Kulturen in unserer heutigen globalisierten Welt.

Quiet Life

Deutschland, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Schweden 2024, 100 Minuten
Regie: Alexandros Avranas
Mit: Fernanda Torres, Selton Mello, Fernanda Montenegro Chulpan Khamatova, Grigory Dobrygin, Naomi Lamp u. a.
Start: 24. April 2025
Verleih: von Wild Bunch

Quiet Life erhielt 2024 den Publikumspreis bei den 66. Nordischen Filmtagen und wurde beim Geneva International Film Festival mit dem Future Is Sensible-Award ausgezeichnet.

Thomas Volkmann

Quiet Life

Gut hat sie sich integriert in ihrem neuen Zuhause in Schweden, die russische Familie in Alexandros Avranas Einwandererdrama Quiet Life. Dann jedoch wird ihr Asylantrag abgelehnt – und die jüngste Tochter fällt in ein rätselhaftes Koma. Dieses wird als „Resignationssyndrom“ diagnostiziert, eine Krankheit, die in Schweden offiziell anerkannt ist. Zuckerbrot und Peitsche: zunächst sind die Behörden voll des Lobes, als sie die Eltern Sergei und Natalia sowie ihre Töchter in deren vier Wänden besuchen. Die Kinder kommen in der Schule, im Chor und beim Sport gut mit, sind sprachlich voll angekommen, sogar über schwedische Vornamen machen sie sich schon Gedanken. Zur endgültigen Bewilligung der Asylanträge aber fehlen dem Migrationsamt noch Beweise, dass Vater Sergei seinem Herkunftsland tatsächlich aufgrund politischer Verfolgung und psychischer Drangsalierung den Rücken gekehrt hat. Seine Narbe am Oberkörper ebenso wie die mündlichen Aussagen reichen nicht, in Verhören werden die Familienmitglieder in die Mangel genommen. Die Jüngste nimmt das Prozedere und die Aussicht, ausgewiesen und abgeschoben zu werden, besonders mit: Sie fällt ich ins Koma.
Dieses Krankheitsbild ist der Ausgangspunkt dieses kühl und distanziert,
ja fast klinisch gehaltenen Migrationsdramas. Als Resignationssyndrom wurde es diagnostiziert und gilt seit 2014 in Schweden tatsächlich als anerkannte, auch als „Dornröschenschlaf“ bezeichnete Krankheit, von der seit Beginn der 2000er-Jahre Hunderte an Flüchtlingskindern betroffen waren.
Das rätselhafte Symptom trat vornehmlich bei Kindern aus dem Kosovo, aus Serbien, Aserbaidschan, Kasachstan und Kirgistan auf.
Im Spielfilm des Griechen Alexandros Avranas verkompliziert sich die Lage für die russische Familie derart, dass ihr zeitweise sogar die Besuchsrechte im Krankenhaus entzogen werden. Geradezu absurd mutet an, wie psychotherapeutisch versucht wird, den in ihrer Situation gefangenen Eltern wieder ein Lächeln beizubringen.
Die kühle Ausstattung des Films passt dabei gut zum Ohnmachtscharakter der Geschichte, die wachsende Verzweiflung äußert sich bei den Darsteller*innen in leisen Gesten und einer Mimik, die gerade durch ihre kontrollierte Zurückhaltung fasziniert – und eben dadurch ihre Wirkung nicht verfehlt.

Caught by the Tides

Originaltitel: Fengliu Yidai
China 2024, 111 Minuten.
Regie: Jia Zhang-ke
Mit: Zhao Tao, Li Zhubin
Start: 15. Mai 2025
Verleih: Rapid Eye Movies

Thomas Volkmann

Caught by the Tides

China hat sich seit Beginn des 21. Jahrhunderts stark verändert. Es gibt Regionen, in denen Menschen umgesiedelt worden sind, ihre Städte abgerissen und neue gebaut wurden. Regisseur Jia Zhang-ke hat in „Caught by the Tides“ altes und neues Filmmaterial genutzt, um daraus ein Zeitporträt über ein Paar und wie es den Wandel miterlebt hat, zu schneiden.  „Nicht mal Buschfeuer vernichtet Unkraut/im Frühling wächst es wieder neu.“ Was sich als Liedzeile poetisch liest, lässt Zhang-ke zu brachial bretterndem Death-Metal von der chinesischen Band Brain Failure aus den Boxen schmettern, ehe die Kamera in einer längeren Sequenz Arbeiterfrauen dabei filmt, wie sie Spaß beim Singen traditioneller Lieder haben – und dabei nicht selten kichern müssen. Der Einstieg hat etwas Dokumentarisches, so wie überhaupt das aus den Jahren 2001, 2006 und 2022 stammende Bildmaterial eine unübersehbare Chronistenfunktion übernimmt und den Wandel der Zeit, insbesondere die Veränderungen hinsichtlich von Wirtschaft und Ökonomie und von Technik im Alltag, sichtbar macht. Dabei findet sich auch Kurioses im Footage-Material, etwa ein Typ in einer Diskothek, der sich an Ketten hängende und randvoll befüllte Wassereimer mit Haken an die Augenlider hängt und eine für ihn garantiert nicht schmerzfreie Gewichthebeübung vollbringt. Festgehalten sind aber auch historische Momente wie die Freude des Volkes über die erfolgreiche Olympia-Bewerbung für Peking. Je nachdem, welche Kameras und Aufnahmetechnik Zhang-ke nutzte, wechselt im Bilderreigen auch schon mal das Bildformat. Verwendung fanden auch Fotografien von Reisenden in einem Zug.

Als loser Faden für eine Handlung dient die Beziehung des Paares Qiaoqiao (gespielt von Zhao Tao, der Frau des Regisseurs) und Bin (Zhubin Li). Der Arbeiter macht sich von der dem Niedergang geweihten Kohlebergbaustadt Datong auf, um andernorts sein Lebensglück zu finden. Dialoge braucht es kaum, dafür fällt aber auf, wie sich über den Einsatz von Musik etwas über Vergangenheit und Gegenwart sowie damit verbundene und erlebte Emotionen ausdrücken lässt.

Wenn das Leben ein langer großer Fluss ist, dann ist dieser Film die Reise in Richtung eines Meeres der Möglichkeiten über Gezeiten wie Ebbe und Flut hinweg. Unterwegs begegnet man in diesem Film immer wieder auch anderen Figuren und Menschen aus früheren Werken des Regisseurs.


Editorial

Liebe Leser*innen,

20 Jahre Zuwanderungsgesetz – ein Jubiläum, dem im Herbst einige Tagungen gewidmet sind, das ansonsten bislang aber wenig öffentliches Interesse geweckt hat. Kein Wunder: statt über Integration wird derzeit eher über eine Beschränkung von Migration oder gar von „Remigration“ diskutiert.

Es war nicht nur das Zuwanderungsgesetz, das vor 20 Jahren Integrationskurse, Sprachförderung und erleichterte Aufenthaltsgenehmigungen mit sich brachte, man verabschiedete sich auch endgültig von der Mär, Deutschland sei kein Einwanderungsland. Seit 20 Jahren taucht auch erstmals der „Migrationshintergrund“ in den Statistiken auf und es gab zunehmend Förderprogramme und Projektmittel zur Unterstützung des bürgerschaftlichen und interkulturellen Engagements von migrantischen Vereinen und Initiativen.

Bei aller berechtigten Kritik an diesem Gesetz, es war ein Meilenstein der Migrationspolitik. Und die letzten 20 Jahre waren eine Zeit, in der nicht nur die Integrationskurse boomten, die Einbürgerungszahlen in die Höhe schossen und viele Kommunen und Institutionen sich „öffneten“ und ernstzunehmende Ansätze für eine bessere Teilhabe schufen. Es konnten sich in dieser Zeit auch unzählige migrantische und postmigrantische Initiativen, Organisationen und Verbände etablieren und an Einfluss gewinnen, Antidiskriminierungsstellen entstanden und auch in der Wissenschaft beschäftigte man sich zunehmend mit Themen wie Migration und Rassismus.

Dass die Stadt Stuttgart bei dieser Entwicklung eine Vorreiterrolle spielte, wurde zu Recht oft betont und dabei auch die Bedeutung des Forums der Kulturen unterstrichen. War das Forum doch vor 27 Jahren bundesweit der erste Dachverband von Migrantenvereinen, organisierte vor nun ebenfalls bald 20 Jahren den ersten Bundesfachkongress Interkultur und setzte mit der Entwicklung des House of Resources bundesweit Zeichen.

Doch trotz dieser positiven Entwicklungen: Kulturelle Vielfalt wird noch lange nicht von allen als „normal“ und Zuwanderung auch nicht als Bereicherung angesehen. Rassismus, Diskriminierung und Ausgrenzung sind auch heute noch an der Tagesordnung. Und: in vielem geht es wieder rückwärts. Die Haltung der Bevölkerung gegenüber Migration und Vielfalt ist deutlich skeptischer und teilweise radikal ablehnend, rechtes Gedankengut wird salonfähig, nicht nur hier sondern auch in vielen unserer Nachbarländern. Die Zahl der (gemeldeten) rassistisch motivierten Übergriffe steigt deutlich. All das passt nicht wirklich in ein Jubiläumsjahr.
Ein weiteres Jubiläum, das diesen Monat ansteht, macht deutlich, wie die Zeiten sich geändert haben: das Anwerbeabkommen mit Tunesien jährt sich zum 6o. Mal. Während damals tunesische Arbeitskräfte begehrt waren und umworben wurden, werden mit Tunesien heute Abkommen ausgehandelt, die Abschiebungen und Rückführungen zum Inhalt haben und Migration verhindern sollen, statt sie zu befördern.

Dabei haben die letzten Jahrzehnte auch eines gezeigt: Migration lässt sich letztlich nicht wirklich verhindern und nur schwer regulieren. Was aber möglich ist – und das wurde in den letzten 20 Jahren mehr als deutlich: Migration lässt sich gestalten, und zwar so, dass ein für alle Seiten fruchtbares und friedliches Miteinander möglich ist. Statt vergebens Energie und finanzielle Mittel in oft menschenverachtende Abschottungsstrategien zu stecken, wären dieselben Mittel sinnvoller investiert in den Aufbau und die Stabilisierung von Strukturen, die ein „Wir schaffen das“ möglich machen.

Ihr

Rolf Graser
Geschäftsführer
des Forums der Kulturen Stuttgart e. V.