Veranstaltungsanmeldung


Editorial

Liebe Leser*innen,

20 Jahre Zuwanderungsgesetz – ein Jubiläum, dem im Herbst einige Tagungen gewidmet sind, das ansonsten bislang aber wenig öffentliches Interesse geweckt hat. Kein Wunder: statt über Integration wird derzeit eher über eine Beschränkung von Migration oder gar von „Remigration“ diskutiert.

Es war nicht nur das Zuwanderungsgesetz, das vor 20 Jahren Integrationskurse, Sprachförderung und erleichterte Aufenthaltsgenehmigungen mit sich brachte, man verabschiedete sich auch endgültig von der Mär, Deutschland sei kein Einwanderungsland. Seit 20 Jahren taucht auch erstmals der „Migrationshintergrund“ in den Statistiken auf und es gab zunehmend Förderprogramme und Projektmittel zur Unterstützung des bürgerschaftlichen und interkulturellen Engagements von migrantischen Vereinen und Initiativen.

Bei aller berechtigten Kritik an diesem Gesetz, es war ein Meilenstein der Migrationspolitik. Und die letzten 20 Jahre waren eine Zeit, in der nicht nur die Integrationskurse boomten, die Einbürgerungszahlen in die Höhe schossen und viele Kommunen und Institutionen sich „öffneten“ und ernstzunehmende Ansätze für eine bessere Teilhabe schufen. Es konnten sich in dieser Zeit auch unzählige migrantische und postmigrantische Initiativen, Organisationen und Verbände etablieren und an Einfluss gewinnen, Antidiskriminierungsstellen entstanden und auch in der Wissenschaft beschäftigte man sich zunehmend mit Themen wie Migration und Rassismus.

Dass die Stadt Stuttgart bei dieser Entwicklung eine Vorreiterrolle spielte, wurde zu Recht oft betont und dabei auch die Bedeutung des Forums der Kulturen unterstrichen. War das Forum doch vor 27 Jahren bundesweit der erste Dachverband von Migrantenvereinen, organisierte vor nun ebenfalls bald 20 Jahren den ersten Bundesfachkongress Interkultur und setzte mit der Entwicklung des House of Resources bundesweit Zeichen.

Doch trotz dieser positiven Entwicklungen: Kulturelle Vielfalt wird noch lange nicht von allen als „normal“ und Zuwanderung auch nicht als Bereicherung angesehen. Rassismus, Diskriminierung und Ausgrenzung sind auch heute noch an der Tagesordnung. Und: in vielem geht es wieder rückwärts. Die Haltung der Bevölkerung gegenüber Migration und Vielfalt ist deutlich skeptischer und teilweise radikal ablehnend, rechtes Gedankengut wird salonfähig, nicht nur hier sondern auch in vielen unserer Nachbarländern. Die Zahl der (gemeldeten) rassistisch motivierten Übergriffe steigt deutlich. All das passt nicht wirklich in ein Jubiläumsjahr.
Ein weiteres Jubiläum, das diesen Monat ansteht, macht deutlich, wie die Zeiten sich geändert haben: das Anwerbeabkommen mit Tunesien jährt sich zum 6o. Mal. Während damals tunesische Arbeitskräfte begehrt waren und umworben wurden, werden mit Tunesien heute Abkommen ausgehandelt, die Abschiebungen und Rückführungen zum Inhalt haben und Migration verhindern sollen, statt sie zu befördern.

Dabei haben die letzten Jahrzehnte auch eines gezeigt: Migration lässt sich letztlich nicht wirklich verhindern und nur schwer regulieren. Was aber möglich ist – und das wurde in den letzten 20 Jahren mehr als deutlich: Migration lässt sich gestalten, und zwar so, dass ein für alle Seiten fruchtbares und friedliches Miteinander möglich ist. Statt vergebens Energie und finanzielle Mittel in oft menschenverachtende Abschottungsstrategien zu stecken, wären dieselben Mittel sinnvoller investiert in den Aufbau und die Stabilisierung von Strukturen, die ein „Wir schaffen das“ möglich machen.

Ihr

Rolf Graser
Geschäftsführer
des Forums der Kulturen Stuttgart e. V.