Solitude im Literaturhaus

Texte, Räume, Resonanzen
mit Sibongakonke Mama
Mi, 1. Oktober 2025, 19.30 Uhr
Literaturhaus, S-Mitte
www.literaturhaus-stuttgart.de
www.akademie-solitude.de

Foto: Phomolo Nzunga
Ausgabe: Oktober 2025

Interview mit Schriftstellerin Sibongakonke Mama

„Geschichten bestehen nicht nur aus Sprache“

Bei der Veranstaltung Solitude im Literaturhaus präsentieren Stipendiat*innen der Akademie Schloss Solitude literarische Arbeiten, die das geschriebene Wort in neue poetische Formen überführen. Sibongakonke Mama liest Gedichte, die sie verortet in Geschichte, Körper, Gesellschaft und Schwarzer Erfahrung.

Liebe Sibongakonke Mama, worum geht es in Ihren Gedichten?

Die Gedichte befassen sich mit den Lebenserfahrungen Schwarzer Menschen, mit Unbehagen, der Beziehung zwischen Muttersprache und „anderer Sprache“, Stottern und Stolpern, Vorstellungen von Nichtzugehörigkeit und Zugehörigkeit. Durch eine Politik und Philosophie der Stille, die ich von Kevin Quashie übernommen habe, untersucht die Poesie die oben genannten Themen im Körperlichen, Familiären, Sozialen, Historischen, Spirituellen und Politischen.

Gibt es eine Zeile, die Sie an dieser Stelle zitieren können?

this loneliness in my hips.
won’t sit still

it drinks my bones
hollow

i am bloated
with echoes
of a place,
people
i can’t reach
a self

wherever i go
foreign waters
settle in my bones.

Ihr Stück Ibuhlungu le ndawo lief im Hauptprogramm des National Arts Festival in Makhanda. Eine poetische Meditation über „Unwohlsein, Krankheit, Entfremdung, Zugehörigkeit, Abstammung und Erbe“. Wie viel Ihrer eigenen Erfahrung steckt darin?

Das Stück basiert auf einer Mischung aus Erfahrungen und Identitäten: meinen eigenen, denen meiner Verwandten, Freunde und einiger Fremder, die den meisten Menschen aus meiner Region bekannt sind.

Gibt es eine deutsche oder englische Übersetzung?

Nein.

Was Ihre Kindheit in Südafrika betrifft: Was hat Sie als Schriftstellerin besonders beeinflusst?

Bei jeder Familienfeier bestimmt meine Familie mütterlicherseits, wie die meisten schwarzen Familien in Südafrika, jemanden, der den Menschen, die an der Feier teilnehmen und die Familie unterstützen, einen Dankesgruß ausspricht. Bei wichtigen Anlässen war mein Urgroßvater L. S. Matiwane immer die Person, die dies tat. Wenn er sprach – selbst wenn er meine Onkel und die ganze Familie vor den Gästen zurechtwies –, fühlte es sich an, als würde ein Wald in meinem Kopf wachsen. Er faszinierte mich mit der Bedächtigkeit, der Schönheit, der Verletzlichkeit und der Dringlichkeit seiner Worte und seiner Sprache. Er ist der größte Redner, den ich persönlich je gekannt habe und der mich direkt beeinflusst hat.

Wollten Sie schon immer Schriftstellerin werden?

Ich wollte schon immer schreiben.

Funktionieren Geschichten überall gleich oder muss Sprache innerhalb jeder Kultur individuell interpretiert und angepasst werden?

Geschichten werden nicht einmal von Menschen desselben Ortes immer gleich aufgenommen. Aber sie können ähnliche Erfahrungen hervorrufen oder Erfahrungen, die miteinander kommunizieren, denn Geschichten bestehen nicht nur aus Sprache. Sie bestehen aus Energie, Klang, Emotionen, Bewegung, dem Unausgesprochenen, verkörpertem Wissen, dessen wir uns bewusst sind und dessen wir uns nicht bewusst sind, und so weiter. Wie sie beim Publikum „wirken”, hängt also auch davon ab, welche Teile von sich selbst die Zuhörer einbringen, wofür sie sich öffnen, wie interessiert sie daran sind, auf andere zuzugehen und ihnen zuzuhören. Was man sich wünscht, sind neugierige Leser*innen.

An welchen Projekten arbeiten Sie während Ihres Stipendiums?

Ich schreibe Gedichte für das Manuskript meines ersten Gedichtbands.

Gibt es einen Ort in Stuttgart oder Umgebung, der Sie inspiriert?

Der Wald bei Solitude und in Richtung Gerlingen. Und ein Ort in Gerlingen, von dem aus man den Sonnenuntergang beobachten kann, ich habe vergessen, wie er heißt.

Sie arbeiten auf vielfältige Weise mit Sprache: Als Schriftstellerin sind Sie in den Bereichen Lyrik und Theater tätig. Und Sie haben im investigativen Journalismus gearbeitet. Wie lassen sich die Disziplinen miteinander verbinden?

Meine journalistische Erfahrung fließt manchmal in meine Lyrik ein, indem ich eine Reportageartige Perspektive einnehme und mich an das journalistische Prinzip halte, mit Fakten zu arbeiten und nicht mit dem, was man darüber denkt oder fühlt. Diese Einschränkungen stellen eine freudige Herausforderung dar und erweitern die kreative Arbeit mit Sprache und Geschichten. Auf diese Weise bietet sich auch die Möglichkeit, die marktorientierte Kultur des Nachrichtenjournalismus zu unterlaufen und Nachrichten mit etwas mehr Verletzlichkeit (neu) zu schreiben. Wenn wir das tun würden, was wir mit dem Schreiben tun sollten, würde es immer schwieriger werden, zwischen Poesie und Journalismus zu unterscheiden.

Was sind Ihre Pläne für die Zukunft?

Ich werde endlich diesen Gedichtband veröffentlichen und habe über Übersetzungen nachgedacht.

Zur Person

Sibongakonke Mama, 1989 in Südafrika geboren, ist eine Autorin für Poesie und Drama aus Johannesburg. Als Dichterin und Dramatikerin arbeitet sie auf vielfältige Weise mit Sprache – unter anderem für die südafrikanische Jazzszene. Sie ist die Gewinnerin der National Playwright Competition 2022. Derzeit ist sie Stipendiatin an der Akademie Schloss Solitude.