Museum der Alltagskultur Schloss Waldenbuch

www.museum-der-alltagskultur.de

Öffnungszeiten:
Di–Sa: 10–17 Uhr
So und Feiertage: 10–18 Uhr
Mo: geschlossen, außer an Feiertagen

Foto: Landesmuseum Württemberg, Jonathan Leliveldt
Ausgabe: November 2023

Migrationsgeschichten im Museum der Alltagskultur – Schloss Waldenbuch

(Post-)migrantische Perspektiven endlich sichtbar machen

Das Museum der Alltagskultur – Schloss Waldenbuch erweitert seine Sammlungen um Perspektiven einer (post-)migrantischen Gesellschaft im Rahmen einer offenen Sammlungswerkstatt zum Thema Familie und Migration. Beteiligung der Museumsbesucher*innen erwünscht.

Eine Haarschneidemaschine, ein gerahmtes Wandbild und ein Poesiealbum: was verbindet diese drei im Museum der Alltagskultur gezeigten Gegenstände miteinander? Es handelt sich um Objekte, die zur Sammlung des Museums der Alltagskultur im Schloss Waldenbuch gehören – und von Familien und ihren Migrationsgeschichten erzählen. „Leider gibt es im Museum bisher nur wenige solcher Objekte – doch diese Lücke wollen wir nun endlich schließen“, sagt Raffaela Sulzner vom Museum der Alltagskultur. Dank einer Förderung der Kulturstiftung der Länder zur interkulturellen Diversifizierung von Museumssammlungen in Deutschland konnte das Museum der Alltagskultur 2023 ein Projekt starten, das auf jene „Lücken“ in der Sammlung aufmerksam machen möchte: eine Sammlungswerkstatt, die als Ausstellungsraum zugänglich ist und der interessierten Öffentlichkeit Einblicke in den laufenden Prozess ermöglicht.

„Das Sammeln – eine zentrale museale Tätigkeit – wird hier öffentlich thematisiert. Im Mittelpunkt steht dabei das Thema Familie und Migration, um (post-)migrantische Perspektiven zu fördern und diese vor allem im musealen Kontext sichtbar zu machen“, erklärt Ausstellungskuratorin Raffaela Sulzner. „Alle Museumsbesucher*innen sind eingeladen, sich an Objektvorschlägen für dieses Sammlungsprojekt zu beteiligen und zu erzählen, welche Migrationsgeschichten ihre eigenen Familien bewegen.“

In der Sammlungswerkstatt sind aktuell die drei besagten Objekte – die Haarschneidemaschine, das Poesiealbum und das gerahmte Wandbild – zu sehen. Im Rahmen des Sammlungsprojektes, das von Raffaela Sulzner koordiniert und von der diversitätssensiblen Prozessbegleiterin Jamila Al-Yousef von Beginn an unterstützt wird, haben sich vier Community-Kurator*innen mit den gesellschaftshistorischen Kontexten der ausgestellten Objekte auseinandergesetzt. Frederick Carter, Helena Cing Deih Sian, Kristína Janačková und Maria Kechaja haben sich hierbei für die Projektmitarbeit beworben und wurden im April 2023 von einer Fachjury ausgewählt.

Wie werden migrantische Familien in Deutschland wahrgenommen?

Was hat sie motiviert, sich an dem Projekt zu beteiligen? Für Maria Kechaja bedeutet Community-Kuratorin im Museum der Alltagskultur zu sein, „mit einem kritischen Blick das Museum darin zu unterstützen und zu beraten, sich auf den Weg zu machen, die Realität der Migrationsgesellschaft einzufangen und zum Teil der Ausstellung werden zu lassen“. „Wessen Alltag findet überhaupt Eingang in die Museumssammlung?“ Diese Frage bewegt Kristína Janačková als Community-Kuratorin. „Meine Arbeit sehe ich als eine Chance, museale Veränderungen aufzugreifen. Ich will, dass bisher marginalisierte Menschengruppen in dem Museum sichtbar werden“, betont sie. Helena Cing Deih Sian beschreibt ihre Motivation wie folgt: „Als Stimme aus der Nicht-Mehrheitsgesellschaft darf ich diese Ausstellung zur Familie mitgestalten und dabei Raum und Sichtbarkeit für bislang übersehene Personengruppen schaffen.“ Und Frederick Carter möchte die Mitarbeit nutzen, „um darüber nachzudenken, wie migrantische Familien in Deutschland wahrgenommen werden.”

In mehreren Workshops, die diesen Sommer ausgerichtet wurden, haben sich die Community-Kurator*innen zu verschiedenen Fragestellungen, die sie selbst erarbeitet haben, Gedanken gemacht. Maria Kechaja hat sich beispielsweise mit einem gerahmten Wandbild, das den Titel „Gastarbeiterfamilie“ trägt, auseinandergesetzt. Das Museum der Alltagskultur hatte es 1983 von dem Künstler Werner Krause erworben. „Das Bild thematisiert die oft schlechten Wohn- und Lebensverhältnisse in Deutschland. Der Ausdruck der dargestellten Personen verstärkt die beklemmende Alltagssituation: Sie wirken orientierungslos und einsam. Diese einseitige Wahrnehmung verrät aber noch nichts über die Personen…“, erzählt Raffaela Sulzner.

Maria Kechaja hat sich diesbezüglich folgende Fragen gestellt: Wer blickt mit welcher Perspektive auf wen? Wie prägen öffentlich mediale Diskurse, die Wahrnehmung und Darstellung von Migrant*innen? Demgegenüber möchte sie in der Sammlungswerkstatt ein Bild ihrer Familie zeigen, welches der Arbeit eines deutschen Künstlers eine migrantische Perspektive gegenüberstellt.

„Wir wünschen uns, diese Multiperspektivität im Museum noch stärker darstellen zu können. Alle Community Kurator*innen haben sich mit einer solchen Intensität mit den Objekten (Haarschneidemaschine, Poesiealbum und Wandbild) auseinandergesetzt. Sie haben sich methodisch daran angenähert, wie (post-)migrantische Perspektiven in der Sammlung sichtbar gemacht werden können und dabei Wege gesucht und gefunden, um die Sammlungswerkstatt zu erweitern – vom besagten Familienbild bis hin zu einem Schreib-Workshop“, so Raffaela Sulzner. „Alle Ergebnisse werden dokumentiert und aufbereitet, denn das Sammlungsprojekt soll eine Art Vorgeschmack auf die kommende Sonderausstellung des Museums der Alltagskultur bieten, die ab Mai 2024 die Diversität der Familie vielstimmig und multimedial darstellen wird.“