Iryna Baliura: Verwirrung / Geschlossenheit / Durchbruch

Ausstellung.
31. Oktober 2025 bis 8. Januar 2026
Vernissage:
Sa, 8. November 2025, 19.00 Uhr
Forum 3, S-Mitte
www.forum3.de

Künstlerin Iryina Baliura (Mitte) mit Alla Tanunina im Atelier der Kunstschule des Stuttgarter Familienzentrums KIT.
Foto: Adele Hirschfeld
Ausgabe: November 2025

Künstlerin Iryina Baliura

„Kunst ist die Sprache“

Iryna Baliura lehrt Menschen vielfältige Wege der Kunst und beweist, dass Malerei interkulturell verbindet und Verständnis wenig Worte bedarf. Neben ihrem Lehrauftrag stellt die Ukrainerin Ende Oktober im Forum3 eigene Werke aus.

Am KIT, Teil des Zentrums für Familie, Bildung und Kultur, hat an diesem Abend gerade noch Deutschunterricht stattgefunden. Die Freizeitschule besteht aus zwei Räumen: einem klassischen Unterrichtsraum mit Tafel und bunten Magnetbuchstaben. Daneben die Kunstschule, in der zahlreiche Gemälde und Skulpturen auf Staffeln wie Orgelpfeifen aneinandergereiht sind. Jedes Werk ist ein Stück Stolz von Iryina Baliura. Der Raum ist ihre Wirkungsstätte als Lehrerin, die Bilder die Werke ihrer Schülerinnen und Schüler.

Freiheit, die Philosophie der Zerstörung

Das Auge wandert zwischen Farben, Spachteln und Pinseln erstaunt von Bild zu Bild, bis es an einer Leinwand angekommen ist. Ein Gemälde steht auf dem Kopf. Die Signatur des Malenden befindet sich rechts oben. Ein Ölgemälde, durchschnitten von senkrecht fließenden Farbstrichen. „Es ist die Philosophie der Zerstörung“, erklärt Iryna Baliura.

Sie stammt aus Kyjiv, Ukraine, wo sie an der Universität für Architektur und Bauwesen und an der Kunstakademie studiert. Dann zieht es die Künstlerin nach Deutschland. In Stuttgart verbindet sie das akademische Wissen und die technischen Fähigkeiten, die sie während ihres Studiums in der Ukraine erworben hat, mit den freien, konzeptuellen Ansätzen der Kunstszene in Deutschland. Ein Artikel über die Künstlerin wurde in der Enzyklopädie der modernen Ukraine veröffentlicht.

Im kreativen Raum KIT, den Alla Tanunina 2022 für Geflüchtete aus der Ukraine ins Leben gerufen hat und der – wie die Gründerin betont – für Kreativität, Individualität und Toleranz steht, leitet Iryna Baliura mehrere Kurse. Ihr Angebot umfasst Ölmalerei, Architektur, Produktdesign und Grundlagen der Malerei.

„Mein Lehrsystem lässt sich als eine Reihe miteinander verbundener Übungen darstellen“, erklärt sie. „Wir beginnen mit Intuition und Improvisation, vom Zufall ausgehend. Suchen dann nach Assoziationen und beenden das Ganze mit der Analyse und Begründung unserer Entscheidungen.“ Ist die Technik einmal verstanden – die wissenschaftlichen Grundlagen erfolgen parallel zu kreativen Übungen – stellt die Lehrerin das Bild auf den Kopf.

„Das verändert die Wahrnehmung“, betont sie. „Das zuvor sorgfältig arrangierte Motiv zerfließt. Die Schülerinnen und Schüler durchlebten dann einen Prozess, eine Metamorphose von Wut, Hysterie und Frust hin zur Euphorie. Am Ende dieses Prozesses, der etwa fünfzehn Minuten ausmacht, beginnt die Freiheit. Dieser Aufbau liefert meiner Meinung nach gute Ergebnisse.“

Irynas eigene Werke sind abstrakt und realistisch – ein fließender Übergang. Ob jedes Bild eine Bedeutung habe? Die Malerin rückt die Brille zurecht, denkt nach, formt eine Erklärung. Wieder spricht sie in ihrer Muttersprache. Wenn sie in die Natur gehe, habe sie stets ein Skizzenbuch dabei. Sie fasse die Emotionen, die sie an den Orten empfindet in kleine Zeichnungen. Diese überträgt sie später in ihre Bilder. Es entstehen Motive, die von der Intuition geleitet sind und aus einem Mosaik unterschiedlicher Sinneseindrücke bestehen.

Ein zentrales Element ist der Rabe. Ein Werk etwa zeichnet den Rattenfänger von Hameln wieder. In Baliuras Werk spielt dieser Geige. Statt Ratten zieht er die Raben in seinen Bann. Abstrakte Formen treffen auf weiche Porträts von Gesichtern. Die Künstlerin hat einen eigenen Werksstil mit Kugelschreiber, Kleber und Textmarker erschaffen. Wie viele Stunden sie an einem Werk arbeitet, lässt sich schwer sagen. „Es bleibt nicht jeden Tag Zeit, der eigenen Kunst nachzugehen.“

Selbstfindung und die Freiheit des Kunstschaffenden

Zwischen Lehrstunden und Malerei arbeitet die Künstlerin derzeit an einem Buch. „Darüber, wie man zu sich selbst findet und mit anderen kommuniziert.“ In 150 Übungen könne erlernt werden, wie man von Intuition und Improvisation zur Schaffung eines Kunstwerks gelange. Es soll dabei nicht nur um konzeptuelles Denken und abstrakte Kompositionen gehen. Iryna Baliura beschreibt darin auch die Philosophie der Einstellung zu einem Objekt. „Durch die individuelle Wahrnehmung lässt sich dieses verändern.“ Die Autorin erklärt außerdem das „Paradoxon im Kunstwerk“ – die Freiheit des Kunstschaffenden, ein Objekt beliebig darzustellen, „surreal“. So ließe sich beispielsweise ein Weinglas mit unzähligen Nägeln befüllen. Das Objekt erlange damit eine paradoxe Funktion, mit der die Beobachtenden nicht rechnen würden. Am Ende sei nur eines wichtig: „Es muss ein Kunstwerk entstehen.“ Ihre Schülerinnen und Schüler sind aus unterschiedlichen Kulturen und sprechen verschiedene Sprachen. Hier bedarf es keiner Übersetzung. „Kunst ist die Sprache.“ schließt Iryna Baliura lächelnd.

 

Kasten:

Das Stuttgarter Familienzentrum KIT bringt aus der Ukraine geflüchtete Kinder und Jugendliche mit langjährig in Stuttgart lebenden Menschen zusammen. In Deutschkursen sowie kreativen und spielerischen Angeboten wie Malkursen oder Schach lernen die jungen Teilnehmenden nicht nur sprachliche und praktische Fähigkeiten. Ziel ist es auch, das Bewusstsein der Kinder und Jugendlichen für ihre aktive Rolle in der Gesellschaft zu stärken. www.fabis-bw.de