Kamran Serdar Khan
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Kamran Sardar Khan prägt die Stuttgarter Filmszene
Leidenschaftlicher Filmquereinsteiger
Lieber Kamran, wie kamst du von Pakistan nach Deutschland?
Nach dem Militärputsch 1981 in Pakistan ist mein Vater ins Ausland geflüchtet. Er war Rechtsanwalt und politisch in der PPP – der Pakistanischen Volkspartei – aktiv. Der Chef dieser Partei, der bekannte Politiker Zulfikar Ali Bhutto, wurde 1977 gehängt. Nach dessen Tod wurde mein Vater schikaniert und saß sogar lang im Gefängnis. Es kam dann der Entschluss, Pakistan zu verlassen. Ich kann mich bis heute gut daran erinnern, wie es damals war: wir, mein älterer Bruder und ich, waren 17 und 15 Jahre alt. Als wir aus einem Cricket Turnier kamen, sagte uns meine Mutter: „In zwei Tagen reisen wir ab!“. Wir durften es niemandem sagen. Nach zwei Tagen holte uns mein Onkel ab. Wir mussten alles stehen lassen: das Gekochte, das Haus, alles. Im August 1981 landeten wir in Hamburg. lch hatte keine Vorstellung von Europa. Mein Vater empfing uns.
War Deutschland das erste Zielland?
Es war geplant nach Simbabwe weiterzureisen, da ein Freund meines Vaters dort als Professor für Englisch arbeitete. Aus politischen Gründen hat sich aber dieses Reiseziel dann erübrigt. Mir war als Jugendlicher ganz egal, ob Deutschland oder Zimbabwe. Hauptsache, wir sind als Familie wieder zusammen. England war auch eine Option, aber mein Vater wollte nicht, dass wir ghettoartig aufwuchsen. Wir wurden in Pakistan liberal erzogen. Ich bin mit Muslimen, Hindus, Christen und Buddhisten zur Schule gegangen, das gibt’s heute gar nicht mehr. Meine Eltern sind von der Tradition aus Sufi-Muslime, das sind die Minimalisten. Bei uns hingen immer die Hausschlüssel aus. So eine Art Open House. Wir hatten zwei Schichtenbesucher*innen. Mutter versorgte die erste Schicht und für die späte Schlicht kam eine Kochhilfe, die spätere Besucher, Journalisten, Kollegen, Kinofreunde bekochte. Wir sind in dieser Bildungsblase und mit dieser Gastfreundschaft aufgewachsen.
Der Versuch in die USA auszuwandern, scheiterte an der deutschen Bürokratie. Irgendwann stellten wir einen Asylantrag in Deutschland und ließen uns in Hannover 1982 nieder. Meine Mutter hatte inzwischen die ganzen Familienjuwelen verkauft und mein Vater arbeitete als beratender Jurist.
Du bist doch studierter und praktizierender Architekt. Wie kamst du zum Film-Business?
Wir wurden in der Schule eingeschrieben. Ich war dann in der neunten Klasse Gymnasium. Das hat aber nicht funktioniert, also wechselten ich und mein Bruder zur Realschule, absolvierten das Fachabitur, um endlich an der Fachhochschule zu studieren. Mein Bruder wollte eigentlich Medizin studieren, und das hatte auch nicht geklappt. Hier spielte die Sprache sicherlich eine Rolle. Wir beide studierten klassische Berufe für Ausländer – Bauingenieurwesen. Mein Bruder ist es geworden, ich wechselte jedoch zur Architektur. Ich vertiefte ein auslandsbezogenes Studium und sammelte im ökologischen Bauen viele Erfahrungen im Ausland (Indonesien, Kenya, Barbados, Pakistan, Bangladesch und Indien).
Und wie kam es zum Film?
Mein Bezug zum Kino wurde mir in die Wiege gelegt: Ich bin als Kind im Kino aufgewachsen, weil mein Onkel in Pakistan ein Kino hatte. Unser Babybett stand im Vorführraum. Ich sah, glaube ich, Fahrraddiebe vom italienischen Regisseur De Sica 15 Mal. Mein Onkel war ein gebildeter Mann, ein echter versierter Kinomacher.
Als ich mit dem Studium fertig war, bin ich meiner Frau wegen der Arbeit nach Stuttgart gefolgt. Ich arbeitete damals bei einem Architektenbüro, der lustigerweise für die Cinemaxx-Kinos den Rohbau abnahm. Ich bekam eine Einladung von der pakistanischen Botschaft, weil sie jemanden für die Weltausstellung 2000 in Hannover suchten. Als Geschäftsführender Kommissar für den Pakistanischen Pavillon, Hannover, im Rahmen von Weltausstellung EXPO 2000 lernte ich Stefan Paul (Filmautor, Arsenal Film und Kinos in Tübingen) und Carsten Schuffert (Bewegte Bilder in Tübingen) kennen. Stefan Paul bat mich an, an einem Film über den Stuttgarter Architekten Hans Kammerer mitzuwirken. Als der Film fertig war, organisierte ich eine Kinotour. So starte ich meine Karriere als Filmvertriebler! Durch meine Architektur-Branchenkenntnisse war die Tour super erfolgreich! Dies führte zu der Gründung eines gemeinsamen Unternehmens Academy Films Filmvertrieb, das sich den jungen Filmemacher*innen widmete, über 40 Filme in den deutschen Kinos zeigte und nach einem fast 10-jährigen Intermezzo endete.
Zwischendurch hast du auch beim Indischen Filmfestival mitgearbeitet?
Das Indische Filmfestival war eines der schönsten Nebenprodukte meiner Filmarbeit. Der Hauptsponsor und Honorarkonsul bat mich, mit meinen Kontakten und Erfahrungen in der indischen Filmszene die Gründung eines indischen Filmfestivals in Stuttgart zu unterstützen. Ich habe mein Bestes gegeben und geholfen, die wichtige Infrastruktur aufzubauen und Kontakte zu knüpfen. Ich trug zum Beispiel als Verleiher den deutsch-indischen Film Silent Waters von Sabiha Sumar (Locarno Goldener Leopard, 2003) bei. Ausgerechnet bei einer Veranstaltung des Festivals lernte ich meinen nächsten Geschäftspartner kennen: Nach vielen Jahren trennten sich Stefan und ich geschäftlich. Thomas Reisser von der Niama Filmproduktion und ich gründeten einen neuen Verleih, um die Produktion unabhängig zu machen. Als Verleihchef habe ich über 100 Filme aller Genres in die deutschen Kinos gebracht, darunter viele, die mit Oscars, Bären, Palmen, Leoparden und Lolas ausgezeichnet wurden.
Warum der Wechsel vom Filmvertrieb in die Filmproduktion?
Weißt du, im Endeffekt bin ich ein Architekt. Jemand hat einmal gesagt, dass es zwei Arten von Produzenten gibt: die kreativen Produzenten und diejenigen, deren Leidenschaft eher dem Markt gilt – einen Film zu finanzieren und ihn dann, wenn er fertig ist, zu vermarkten. Das ist mein Ding!
Was machst du heute und wie sieht die Zukunft aus?
Wenn ich nicht Familienvater bin, bin ich in der Filmberatung tätig, im Bereich Produktion, Verleih, Festivals und so weiter. Zum Beispiel konnte ich das neue Unternehmen Accross Nations beim Herausbringen des Films Borga unterstützen. Ich unterstütze auch Autoren und Regisseure wie Felix van Groeningen, Edward Berger oder Ulrike Grote bei der Adaption von Buchvorlagen für Drehbücher. Auf Buchadaptation habe ich einen Schwerpunkt gelegt.
Vor allem bin ich bei der Filmproduktionsfirma East End Film in Stuttgart als freier Produzent aktiv. Soeben sind wir mit der schwarzen Komödie Roxy vom georgischen Regisseur Dito Tsintsadze auf Festivaltour. Hauptrolle spielt Devid Striesow. Der Film erzählt die abenteuerliche Geschichte eines sanftmütigen Taxifahrers, der seine Vorliebe für das Verbrechen entdeckt. Roxy ist der Eröffnungsfilm der Filmschau Baden-Württemberg 2023 und kommt am 25. Januar 2024 in die Kinos!
Vielen dank für das Gespräch, Kamran!