Indisches Filmfestival Stuttgart
Wie Filme in Originalfassung den Blick öffnen
„Nur wer begreift, was er nicht versteht, versteht“
Die Gelegenheit, einen Film in einer der vielen indischen Sprachen im Original zu sehen, nutzt die hiesige indischstämmige Community freudig – doch auch all jenen, die einen anderen kulturellen Background haben, empfiehlt sich ein Kinobesuch der Filme in Originalfassung. In Zeiten, in denen Geschichten aus anderen Kulturen oft an westliche Sehgewohnheiten angepasst werden, ist es wichtig, sich auf das originale Kinoerlebnis einzulassen. So bleibt die Vielfalt der Erzählungen erhalten und die kulturelle Authentizität wird gewahrt. „Es ist wichtig, Erfahrungen von Fremdheit, auch der Grenze des Verstehens zu machen. Nur wer begreift, was er nicht versteht, versteht“, so Dr. Lars Henrik Gass, der Gründungsdirektor für das Haus für Film und Medien Stuttgart.
Weil das Original besonders berührt
„Das Kino hat immer in besonderem Maße dabei geholfen, Konventionen und Konditionierungen der Wahrnehmung zu überwinden,“ erklärt Gass. Sind jedoch Kenntnisse des kulturellen Kontexts für ein tieferes Verständnis des Films notwendig? „Kontextuelles Wissen kann sinnvoll sein, war aber im Kino immer weniger nötig als in anderen Künsten“, ermuntert Lars Henrik Gass zum spontanen Besuch von O-Filmen. Er selbst lässt sich gerne auf solch ein Abenteuer ein: „Einer, der meiner Ansicht nach bedeutendsten Filme aller Zeiten ist Das Musikzimmer (bengalisch: জলসাঘর IAST Jalsāghar) von Satyajit Ray, der mich in seiner Originalfassung immer wieder zu Tränen gerührt hat.“
Synchronfassungen sind für Guido Lukoschek, Leiter des International Office an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg, die bequeme Art des Kinokonsums und sicherlich nicht das, was das Publikum des Indischen Filmfestivals Stuttgart sucht. „Denn die Faszination des Kinos liegt in der immersiven Kraft von Bild und Ton in einem Raum, der andere Reize weitgehend ausschaltet. Man taucht in Geschichten ein, auch in die jeweilige Kultur – gerade, wenn die Filme aus einer anderen Weltgegend kommen. Ein Film in Originalfassung mit Untertiteln bietet da einfach eine Dimension mehr. Die Sprachmelodie, Geräusche und die Persönlichkeiten der Schauspielenden kommen einem so viel näher. An das Lesen der Untertitel gewöhnt man sich schnell, der Aufwand wird durch eine weitaus intensivere Kinoerfahrung belohnt“, so Guido Lukoschek weiter.
Über kulturelle Grenzen hinweg zu erzählen, sei eine der Stärken des Mediums Film. „Im Kino können wir im Fremden uns selbst finden. Das ist übrigens auch der Ansatz der International Class an der Filmakademie, in der jedes Jahr zwischen 16 und 20 junge Filmstudierende aus der ganzen Welt in Ludwigsburg zusammenkommen und lernen, gemeinsam Geschichten zu erzählen“, betont Lukoschek. Demut sei sicher immer ein guter Ansatz, sich etwas Unbekanntem zu nähern. Ein Filmfestival sei der ideale Ort, „hier kann man mit etwas Glück gleich die Macher*innen selbst fragen“, sagt Guido Lukoschek. IFFS-Festivalleiter Oliver Mahn stimmt zu: Das Question and Ask-Format zwischen Publikum und indischen Filmgästen ist interkultureller Austausch vom Feinsten“.