
Künstlerin Dilây Ibis
Wie Essen Identität stiftet
„Ich esse ganz anders als die anderen Kinder“: Das ist Dilây Ibis als Grundschülerin aufgefallen. Sie erinnert sich, dass andere Kinder das türkische Essen, das sie damals von ihrer Mutter zur Schule mitbekommen hat, als „ekelig“ oder „komisch riechend“ bezeichnet haben. Schon als Kind habe das eine Identitätskrise in ihr ausgelöst: „Das war eine harte Zeit.“
Die Gerichte, für die sie sich damals geschämt hat, sind nun die Inspiration hinter vieler ihrer Werke. Eines trägt laut Dilây Ibis den Titel Kanakenfutter: „Ich habe es bewusst nicht zensiert. Es ist mir wichtig, das Wort ,Kanake‘ zu entkräften.“
Aufgewachsen ist sie in Bad Cannstatt. Ihr Großvater ist 1971, mit 23 Jahren, nach Stuttgart gekommen. Um „seinen German Dream zu verwirklichen“, sagt die 27- Jährige mit einem Lachen. Er habe die Absicht gehabt Geld zu verdienen und dann wieder nach Hause zurückzukehren. Ursprünglich kommt ihr Großvater aus der türkischen Stadt Bandırma in der Provinz Balıkesir, im Westen des Landes. Dilây Ibis hat dort noch Verwandtschaft und ist auch schon vor Ort gewesen: „Das war wichtig für meinen Vater, dass wir sehen, wie Opa und Oma aufgewachsen sind. Um nicht zu vergessen, von wo wir eigentlich herkommen.“
Aus einem Gepräch mit ihrem Großvater, der mit 23 Jahren aus der Türkei nach Stuttgart kam, ist eine Videoreportage entstanden.
Momentan beschäftigt sie sich künstlerisch mit der Diaspora: Vor allem mit „deutsch-türkischer Popkultur und der Verschmelzung deutsch-türkischer Speisen“. Für ihre Ausstellung hat die Künstlerin auch mit ihrem Großvater gesprochen, woraus eine Videoreportage entstanden ist.
Ihn zu fragen, wie es für ihn war, als junger Mensch nach Stuttgart zu kommen und wie er sich gefühlt hat, sei für sie „ein ganz intimer Moment“ gewesen. „Er hatte sich nie vorgestellt, hier zu bleiben“, sagt Dilây Ibis, „die Absicht war, nach Hause zu gehen“. Aber: „Je länger du hier bist, desto mehr gewöhnst du dich daran und vergisst deine erste Heimat.“
Neben Videoreportagen, an denen – wie die Künstlerin betont – noch viele weitere Menschen mitgewirkt haben, bietet die Ausstellung auch Skizzen aus dem Alltag in Bad Cannstatt und der Türkei.
Im vergangenen Jahr hat Dilây Ibis ihr Kunst- und Englischstudium auf Lehramt abgeschlossen. Ihr ist klar geworden: Im regulären Schulbetrieb sieht sie sich nicht. „Das war eine schwere Entscheidung für mich.“ Für die Stuttgarterin steht aber fest, dass sie sich innerhalb der Kunstszene weiter entfalten möchte. Entweder als Kuratorin oder „vielleicht an einer Kunstschule, mit Schülerinnen und Schülern, die wirklich Lust haben, Kunst zu machen“.