Colours Dance Festival 2025
20. Juni bis 13. Juli 2025
Theaterhaus,
S-Feuerbach und andere Orte
www.coloursdancefestival.de
Colours Dance Festival 2025
Zeitgenössischer Tanz auf der Höhe der Zeit
Die Sehnsucht nach Gemeinschaft, die Zusammengehörigkeit und der Einklang der Gruppe findet sich wie ein roter Faden in allen Choreografien. Die Wege dahin sind so unterschiedlich wie die Künstler*innen selbst. Im Mittelpunkt steht immer das überwältigende physische Ereignis Tanz. Colours bringt den Tanz zu den Menschen, denn wie gewohnt wollen Eric Gauthier und die Company ganz Stuttgart in Bewegung bringen. 2025 kommt ein neues Format dazu: die Colours Collaborations in Kooperation mit Stuttgarter Kulturpartner*innen.
Noch vor dem eigentlichen Festivalstart verzaubert der Colours Playground auf dem Schlossplatz Tanzfans und spontane Passant*innen. Mit offenen Workshops verführt das Colours-Open-Air-Studio dazu, das Tanzbein zu schwingen. Kurz vor der Eröffnung steuert Eric Gauthier mit einem umgebauten Pick-up-Truck den Schlossplatz sowie zentrale Plätze in den Stadtteilen an und bringt die Menschen zum Tanzen. Auf den Bühnen des Theaterhauses reiht sich ein tänzerisches Ereignis an das nächste. Hier einige der Highlights.
Eine Mischung von Stilen und Menschen
Der britische Starchoreograph und Tänzer Akram Khan arbeitet erstmals mit Gauthier Dance. Er wird dafür Auszüge aus vier klassisch gewordenen Produktionen weiterentwickeln, die er für sich selbst oder die Akram Khan Company kreierte. Der Titel Turning of Bones spielt dabei auf ein hauptsächlich in Madagaskar praktiziertes Ritual der Erinnerung an, bei dem die Menschen die eingehüllten Überreste der Vorfahren aus den Gräbern holen, um sich neu mit ihren Ahnen und ihrem Erbe zu verbinden. Sie frischen die Namen auf den Tüchern auf, tragen die Knochen über ihren Köpfen und tanzen mit ihnen. Famadihana könnte tatsächlich auch die Herangehensweise an diese Produktion bezeichnen, bei der Akram Khan in die Geschichte seiner eigenen Werke eintaucht. (Gauthier Dance/Akram Khan: Turning of Bones, 26.–29.6.25)
Nichts liebt Amala Dianor mehr als das Mischen von Stilen und vor allem von Menschen. Die Kunst des französisch-senegalesischen Choreografen überschreitet immer Grenzen, er sucht die Ideen anderer Völker, anderer Tänze, andere Formen. Virtuos gleitet der geborene Hip-Hopper von einer Sprache in die andere, erobert neue Bewegungen, lässt sich vom Fremden inspirieren und ersetzt strenge Regeln durch eine gespannte Neugier. Das passiert sowohl im Frauenduo M&M, wo die emotionale Tiefe des zeitgenössischen Stils auf die berauschende Energie des Dancehall aus Jamaika trifft, als auch in Level Up, wo Dianor elf junge Virtuos*innen des Clubbing aus aller Welt zu einem Ensemble von fulminanter Energie versammelt. (Companie Amala Dianor: M&M/Level Up, 27./28.6.25)
Die 2018 gegründete Kompanie OtroLado aus Havanna liebt den dramatischen Tanz, eine für Kuba noch ungewöhnliche Schattierung zwischen klassischem Ballett und folkloristischer Avantgarde. Seine Uraufführungen aber macht Chefchoreograf Norge Cedeño nicht unbedingt an konkreten Geschichten fest, eher an Ideen, die mit den Körpern entwickelt und erzählt werden. Wie alle kubanischen Tänzer*innen beherrschen seine Interpret*innen sämtliche klassischen und modernen Stile. Sein Stück Paradox erzählt als dunkles Kammerspiel von einer Frau zwischen zwei Männern – oder zwei Erinnerungen? In stürmischen, hochemotionalen Hebungen zeigt Cedeño den Kampf seiner Protagonistin gegen zwei sich geheimnisvoll widersprechende Schatten. (OtreLado Dance Company: Paradox & Ritual Garden, 1./2.7.25)
Hofesh Shechter schickt seine wilden, unverwechselbaren Tänzerinnen und Tänzer ins Reich der Träume: Vorhänge öffnen und schließen sich, enthüllen surreale Szenen in denen Ängste und Sehnsüchte aufeinanderprallen. Auf der Bühne entsteht eine Traumlandschaft, in der immer neue Bilder in Lichtkorridoren aufflackern. Der Londoner Choreograf tanzt tief ins Unterbewusstsein und stellt hypnotische Bilder harten Rhythmen gegenüber, die unter der Oberfläche pulsieren. Eine Band spielt Bossa-Nova, ein trauriges Liebeslied weht durch das Spiegelkabinett der Assoziationen und die Generation Mensch staunt im federnden, fließenden Tanz über sich selbst. Das Theater der Träume wird zum dunklen Welttheater, aber Shechter hinterlässt beim Publikum das Bild einer euphorisch wogenden Gemeinschaft, die gegen all das Leid tanzt. (Hofesh Shechter Company: Theatre of Dreams, 3./4.7.25)
Das neue Stück des Hip-Hop-Stars Botis Seva aus London ist ein düsteres Abenteuer, eine Geschichte über Widerstand und Veränderung. Eine einsame Kriegerin führt ihre Gruppe umherziehender Nomad*innen durch wechselnde Zeiten. Mit harten Rhythmen und kehligen Klängen gibt die Musik den wogenden Stil vor, der Tanz steigert sich ins Harte, Rohe und distanziert sich so vom kommerzialisierten Hip-Hop. Dieser harte, rohe Tanz fordert die Seele der Tänzer*innen, deren Schmerz sich erst in einer Art Trance löst. Vielleicht ist alles auch nur ein Alptraum, bevor der titelgebende Schlaf kommt… Auch in Until we sleep fragt Botis Seva, zuletzt mit BLKDOG zu Gast in Stuttgart, nach Diskriminierung und rassistischen Konflikten in unserer heutigen Welt. (Botis Seva/Far from the Norm: Until we sleep, 5./6.7.25)
Hommage an die marokkanischen Wurzeln
Die Wüste und ihre Menschen sind das Thema von Nomad: die trockene, rissige Erde, durchwandert von Nomad*innen und ihren Tieren, von Flüchtenden und Suchenden. In ebenso traurigen wie surrealen Bildern zeigt Sidi Larbi Cherkaoui den Durst nach Wasser und Gemeinschaft, den Trost der gegenseitigen Hilfe, ohne die niemand in der weiten Leere überleben kann – und die grenzenlose Freiheit dieser einsamen Landschaft. Zu einer Musik aus afrikanischen und orientalischen Klängen sehen wir die stolzen, duldsamen Nomad*innen in ihrem Kampf gegen die Elemente, wir sehen Tropfen auf die Wüste regnen oder Menschen, die selbst zu Sand werden. Nach vielen Ausflügen in andere Genres von Ballett bis Oper kehrt Cherkaoui mit dieser Hommage an seine marokkanischen Wurzeln zurück zu seiner eigenen Kompanie Eastman, für die all seine freien Werke entstanden sind. (Eastman/Sidi Larbi Cherkaoui: Nomad, 7./8.7.25)
Shahar Binyamini war 2022 der erste Resident Choreographer bei Colours, damals entwarf er die ersten Schritte für More Than. Nach intensivem Überdenken und Verdichten ist aus dieser Keimzelle das Stück New Earth entstanden, das nun beim Coulours Festival 2025 seine Deutschland-Premiere feiert. Damals galt er noch als Newcomer, in wenigen Jahren aber hat sich der Israeli weltweit einen Namen erworben und kehrt als international etablierter Künstler nach Stuttgart zurück, wo man schon früh an ihn geglaubt hat. Wie bei so vielen israelischen Choreografen liegen Shahar Binyaminis Wurzeln in der berühmten Batsheva Company, er ist ein ausgewiesener Gaga-Experte – in einer Weiterentwicklung dieser Tradition suchen er und seine Tänzer*innen nun Erkenntnis über den eigenen Körper. (Shahar Binyamini: New Earth, 12./13.7.25)