Foto: Forum der Kulturen
Ausgabe: März 2025

Bundesverdienstkreuz am Bande für Paulino José Miguel

„Am Ende des Tages muss man Mensch sein“

Was für eine schöne Nachricht: Paulino José Miguel wurde am 13. Februar 2025 das Bundesverdienstkreuz am Bande verliehen. Der 54-Jährige arbeitet beim Forum der Kulturen als Mittler an der Schnittstelle von Entwicklungszusammen- arbeit und migrantischem Engagement. Das ist aber noch lange nicht alles.

Man merkt es sofort: Paulino Miguel ist ein Mensch, der gerne lacht. Er trägt dieses Lachen in der Stimme. Es ist eine Einladung, ins Gespräch zu kommen, selbst wenn man sich zum ersten Mal begegnet. Dabei schwingt eine Ermutigung mit, auch Dinge anzusprechen, die hei- kel und schwierig sind.

Lachen und Ernst – das sind für Paulino Miguel keine Gegensätze. Ehe man sich versieht, ist man in eine Unterhaltung vertieft, die auch länger dauern kann. Dabei kann es passieren, dass andere hinzukommen. Der Erziehungs- und Politikwissenschaftler kennt überall Menschen und bindet sie gerne ein. Dabei zeigt sich eine weitere, für ihn charakteristische Eigenschaft: Er ist ein Mensch, der sehr gut zuhört. Fast unbemerkt kann er zum Beobachter werden, ohne dabei seine aktive Rolle im Gespräch aufzugeben.

Der 54-Jährige ist mit diesen Eigenschaften beim Forum der Kulturen Stuttgart e. V. exakt am richtigen Ort. Vor fast 20 Jahren hat er den Bereich Diaspora, Migration und Entwicklungspolitik mitaufgebaut. Er leitet Projekte in diesem Bereich, engagiert sich in der Vereinsberatung und ermutigt als Fachpromotor für Migrantisches Engagement und Vernetzung andere dazu, aktiv zu werden.

Will man seine unterschiedlichen Aufgaben auf einen Nenner bringen, passt vermutlich das Wort „Mittler“ am besten. Paulino Miguel führt Menschen zusammen, die sich etwas zu sagen haben, sich aber noch nicht kennen. Das sind auf der einen Seite Menschen, die in unterschiedlichster Form mit dem Themenkomplex Eine Welt, Entwicklungshilfe und Bildung zu tun haben. Zum Beispiel Vertreter*innen der Kommunen, Mitarbeiter*innen von Entwicklungshilfeorganisationen oder anderen etablierten Einrichtungen.

Auf der anderen Seite sind es Menschen, die sich in migrantischen und postmigrantischen Vereinen engagieren. „Viele Vereinsaktive verfügen über eine enorme Expertise“, erläutert er. „Wir sorgen dafür, dass dieses Wissen erkannt und genutzt wird.“ Das Interesse ist auf beiden Seiten groß, allerdings haben die Vereine manchmal Schwierigkeiten, ihre Möglichkeiten zu er- kennen und durchzusetzen. Paulino Miguel berät sie in Sachen Projektidee, Finanzierung und Antragstellung. Wichtig ist ihm, dass er dabei unparteiisch ist: „Ich weiß, wie beide Seiten denken und wie die Akteure sich fühlen. Ich unterstütze bei der Vorbereitung. In den Gesprächen selbst hingegen bin ich neutral.“ Diese Neutralität ist für ihn Voraussetzung, für eine produktive Zusammenarbeit.

So eng Paulino Miguel mit dem Forum der Kulturen auch verbunden sein mag: Es gibt noch eine andere Seite an ihm: den privat engagierten Menschen. Dieser andere Paulino Miguel ist nicht Mittler, sondern Akteur, der klare Worte findet – zum Beispiel als Redner bei Kundgebungen, als Schirmherr der Aktionswochen gegen Rassismus oder als Gründungsmitglied von Uthukumana Afrika, einem Verein, der Hilfsaktionen bei Naturkatastrophen organisiert.

Paulino Miguel sagt: „Oft heißt es, in der DDR habe es keinen Rassismus gegeben. Das ist falsch.“ So prägte er den Begriff der „doppelten Mauer“, der Grundlage einer Kampagne der Initiative 12. August werden sollte. Miguel verwendet den Begriff, um die doppelte Abge- schiedenheit von Migrant*innen in der DDR zu beschrei- ben. Neben der Mauer aus Beton zwischen Ost- und Westdeutschland erlebten Migrant*innen eine weite un- sichtbare Mauer zwischen sich und der DDR-Gesellschaft.

Paulino Miguel weiß, wovon er spricht, denn er hat diesen Rassismus hautnah miterlebt. Geboren wurde er 1970 in der damals noch portugiesischen Kolonie Mo- sambik, die wenige Jahre später zur sozialistischen Volksrepublik wurde. Es war die Zeit, in der die DDR so genannte Vertragsarbeiter aus sozialistischen „Bruderstaaten“ anwarb – darunter auch 21 000 junge Menschen aus Mosambik. Paulino Miguel war 11 Jahre alt, als er seinen Heimatort verließ, um zunächst in einem Schulinternat in Staßfurt eine schulische und später auch berufliche Ausbildung zu absolvieren – mit dem Ziel, später nach Mosambik zurückzukehren und die Kenntnisse dort anzuwenden. Sein Wunsch war eine Ausbildung zum Agrotechniker. Diese Hoffnung wurde enttäuscht. Die Vorstellungen der Schülerinnen und Schüler zählten wenig. „Wir wurden nicht gefragt, sondern dorthin geschoben, wo gerade Leute fehlten“, er- innert er sich. Er absolvierte schließlich eine Ausbildung zum Schlosser. Später arbeitete er als Vertragsarbeiter in Wernigerode. Kontakte zu anderen Vertragsarbeiter*innen, etwa aus Vietnam, wurden gezielt unterbunden. Als traurigen Höhepunkt in Bezug auf das Thema Rassismus in der DDR betrachtet Miguel den Mord an einem 17-jährigen Mitschüler, der von einer Brücke gestoßen wurde. Der Fall wurde nie untersucht.

Für die Vertragsarbeiter*innen stellte sich die Situation nach dem Fall der Mauer sehr schwierig dar. Der Aufenthalt in Deutschland war unsicher und sie sollten zurück nach Mosambik. Das Hin- und Herschieben ging also weiter.

„Es gab Menschen, die mich aufgenommen haben, die mir geholfen haben – ohne Rücksicht darauf, ob sie dafür beschimpft werden.“

Paulino Miguel kämpfte um sein Bleiberecht. In Magdeburg fand er Arbeit und besuchte gleichzeitig das Abendgymnasium. Die rassistischen Magdeburger Him- melfahrtskrawalle 1994 hat er unmittelbar miterlebt.

Rassismus ist ein Thema, zu dem er viel erzählen kann. Das gilt aber genauso für die Solidarität. „Ich habe immer wieder echte Hilfe erfahren“, berichtet er. „Es gab Menschen, die mich aufgenommen haben, die mir bei der Jobsuche geholfen haben – ohne Rücksicht darauf, ob sie dafür beschimpft werden.“

1998 kam Paulino Miguel nach Heidelberg – der Stadt, in der er bis heute lebt und die er liebt. Er studierte Erziehungswissenschaft und Politik und arbeitete als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität. Wäh- rend einer Tagung in Bad Boll wurde er auf das Forum der Kulturen aufmerksam gemacht. Hier schließt sich der Kreis.

Paulino Miguel erhielt das Bundesverdienstkreuz für sein außergewöhnliches Engagement für den interkulturellen Dialog, die kulturelle Vielfalt, die Partizipation und Teilhabe von Migrant*innen am gesellschaftlichen und kulturellen Leben. Das trifft bei ihm auf beide Rollen zu – seine Rolle als Mittler ebenso wie die als Aktivist. So wichtig ihm die Unterscheidung ist. Es gilt doch für beide Lebensbereiche das gleiche. „Am Ende des Tages muss man Mensch sein“, sagt er und lacht.