Kontakt zum Jobcenter Stuttgart in Sachen Job-Turbo:
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Integration Geflüchteter auf dem Arbeitsmarkt
Job-Turbo im Realitäts-Check
Mit dem Job-Turbo schnürte das Bundesministerium für Arbeit und Soziales 2023 ein Maßnahmenpaket, um Geflüchtete aus der Ukraine schneller in Arbeit zu bringen. Seine Wirksamkeit soll der Turbo in drei Phasen entfalten: Orientierung und Spracherwerb im Integrationskurs bilden Schwerpunkte der Ankommens-Phase. Die Einstiegsphase bietet Praktika und berufsbegleitende Förderungen, während in der Stabilisierungsphase gezielte Weiterbildungsmöglichkeiten greifen.
Ein Jahr später zeichnet der Bundesrechnungshof (BRH) vom Job-Turbo ein negatives Bild. Stern, Bild und andere Medien verschaffen dem Prüfbericht breite Resonanz. Die Beschäftigung steige seit Beginn des russischen Angriffskrieges nur langsam an, so die Kontrollbehörde. Dabei sei keine große Auswirkung des Job-Turbos zu erkennen. Viele Geflüchtete erhielten nach dem Integrationskurs keinerlei Vermittlungsvorschläge. Und falls doch, sei die Erfolgsquote gering. Bei den geprüften Fällen hätten weniger als ein Prozent der Vorschläge zu einer Einstellung geführt. Beratungen sollen häufiger stattfinden, es müssen mehr Vermittlungsvorschläge gemacht werden, fordert der BRH. Das Ziel, den Bundeshaushalt um eine Milliarde Euro zu entlasten, betrachtet der BRH als unrealistisch. Stattdessen seien erhebliche Mehrausgaben beim Bürgergeld absehbar.
„Geflüchtete wollen sich eine Perspektive in Deutschland erarbeiten“
Fehlt dem Job-Turbo die Schubkraft? Ein Blick in die Praxis relativiert das Bild. „Geflüchtete wollen sich eine Perspektive in Deutschland erarbeiten“, betont Peter Fischer vom Jobcenter Stuttgart, „aber Menschen gehen ihren Weg nicht stromlinienförmig“. Es gibt Hindernisse: etwa die Suche nach bezahlbarem Wohnraum oder geregelter Kinderbetreuung. Zudem leiden viele Kriegsflüchtlinge unter dem, was sie in ihrer Heimat oder auf der Flucht erlebt haben. Traumata, Schlaf- und Konzentrationsstörungen können die Folgen sein. Eine gänzlich andere Ausgangssituation als beim klassischen Vermittlungsvorschlag: „Im Falle Geflüchteter kann ich nicht sofort zu einem Arbeitgeber sagen: hier hast Du einen passgenauen Bewerber. Stattdessen muss ich mit dem Menschen arbeiten und ihn vorbereiten, ehe er eingestellt wird. Das kann mitunter ein Jahr dauern.“ Dem Jobcenter Stuttgart sei es wichtig, Geflüchteten ein gutes Ankommen zu gewährleisten: „Wir wollen Willkommenskultur leben und nicht nur Leistungserbringer sein“. Daher erhalten alle Mitarbeitenden interkulturelle Schulungen. Das Jobcenter verstehe sich nicht als Sanktionsbehörde, die mit Drohszenarien Menschen in Arbeit dränge. „Uns ist es wichtig, Menschen zu begleiten und gemeinsam zu versuchen, Probleme aus dem Weg zu räumen“.
Und wie beurteilt Fischer die Kritik des BRH? „Der Prüfbericht mag die Realität ein Stück weit abbilden“, meint er, „er zeigt aber, dass man die Situation von Kriegsflüchtlingen nicht mit anderen Vermittlungsansätzen gleichsetzen kann“. Zudem sollte man beachten, wie nachhaltig das Arbeitsverhältnis tatsächlich ist. Der „Drehtüreffekt“, dass Leute rasch eingestellt werden und schnell wieder auf der Straße stehen, nütze niemandem. „Es bringt wenig, nur mit Vermittlungsvorschlägen zu arbeiten und Erfolg daran zu messen, den Kunden möglichst viele Firmen zu nennen“, meint Fischer, „besser ist es, Menschen da abzuholen, wo sie sind und Schritt für Schritt zu begleiten.“ Dafür ist beim Jobcenter Stuttgart unter anderem das Netzwerk ABC da. Getreu den Leitmotiven Aktivierung, Beratung, Chancen führt es eine individuelle Bestandsaufnahme durch und bietet Intensivcoachings an. Im Verbund mit Bewerbertraining und Hilfestellung zur aktiven Bewältigung von Arbeitslosigkeit, leistet das Jobcenter Grundlagenarbeit zur Anbahnung sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung.
Doch auch die erste Zeit am neuen Arbeitsplatz kann herausfordernd sein – für Arbeitnehmer*innen wie Arbeitgeber*innen. Dann steht die Maßnahme Coaching on the Job parat. Sie unterstützt bei Konflikten, hilft bei der Klärung betrieblicher Anforderungen oder bei Fragen zu Kostenübernahmen. Schon vor der Ausrufung des Job-Turbos zeigte das Stuttgarter Jobcenter intensiven Einsatz: Unternehmermessen, Bewerbertage und Speeddatings für Geflüchtete schlagen ebenso Brücken zu Arbeitgebern wie Probebeschäftigungen oder kostenneutrale Praktika. Auch die enge Zusammenarbeit mit Trägern und ehrenamtlichen Strukturen hilft, Menschen individuell in Arbeit zu bringen. Im Dialog mit Arbeitgebern ist Fischer ein engagierter Fürsprecher. Denn nicht nur in Zeiten des Fachkräftemangels gibt es starke Argumente, Menschen mit Fluchthintergrund einzustellen: „Geflüchtete bringen oftmals hohes Engagement und Bereitschaft zur Weiterbildung mit“, betont Fischer. Zudem fördern sie die Diversität eines Betriebes. Ein ökonomisch relevanter Aspekt, denn unterschiedliche Perspektiven erhöhen die Innovativkraft. Doch Lobbyarbeit für Geflüchtete ist kein Selbstläufer. Arbeitgeber zeigen sich zwar offen, bevorzugen aber Personen mit Berufserfahrung und guten Deutschkenntnissen, möglichst auf B2-Niveau. Das wirtschaftliche Klima tut sein Übriges „Aufgrund der anhaltenden Rezession sind Arbeitgeber derzeit eher bestrebt, Mitarbeiter zu halten, als neue anzuwerben“, erklärt er.
„Die Situation von Kriegsflüchtlingen kann man nicht mit anderen Vermittlungsansätzen gleichsetzen.“
Rund 40.000 Menschen betreut das Stuttgarter Jobcenter. Davon sind etwa 30.000 erwerbsfähige Leistungsberechtigte, darunter viele Personen mit Fluchthintergrund. Eigentlich bräuchten Fischer und seine Kolleginnen und Kollegen deutlich mehr Ressourcen: zeitlich, personell und räumlich. Dann wären auch die intensiven, vom BRH geforderten Betreuungsschlüssel zu leisten. Doch das politische Pendel schlägt zu Ungunsten von Integration und Arbeitsvermittlung aus. Weil der Bund die Haushaltsgelder kürzen will, droht dem Stuttgarter Jobcenter eine Krise. Jochen Wacker, Leiter des Jobcenters, spricht von einer „absolut dramatischen Situation“. Wesentliche Teile der Arbeitsförderung sind bedroht. Unter diesen Bedingungen nachhaltige Arbeitsvermittlung und Fallmanagement zu leisten, ist schwer vorstellbar. „Das schränkt unsere Handlungsfähigkeit enorm ein“, stellt Fischer fest, „wir können weniger Zuschüsse auszahlen und weniger Maßnahmen einkaufen“. Das würde die Stuttgarter Trägerlandschaft stark in Mitleidenschaft ziehen. Auch die psychosoziale Unterstützung für traumatisierte Geflüchtete will die Bundesregierung kürzen. Ein Teufelskreis, findet Fischer. Denn: „Menschen, die sich zurückgelassen fühlen, brauchen Ansprache. Einsparungen an dieser Stelle bauen Probleme an anderer Stelle auf“. Fischer übt sich in Zweckoptimismus: „Wir wollen Angebote für Jüngere aufrechterhalten und einen radikalen Cut im Flüchtlingskontext vermeiden“.
Dem am grünen Tisch ersonnenen Job-Turbo mag es an Signalwirkung mangeln. Doch nicht die schutzsuchenden Menschen sind das Problem. Die Arbeit mit ihnen braucht Zeit und ist auf intakte Netzwerke angewiesen. Untätig zu bleiben oder auszugrenzen, wäre falsch. Umso mehr gilt es, die integrative Arbeit von Jobcentern und anderen Akteuren als unverzichtbare Investition in eine demokratische Gesellschaft zu bewahren und zu fördern.