
Tag der deutschen Einheit
Weiterführende Lektüre:
Projekt Deutsche Einheit interkulturell
Tag der deutschen Einheit und Migration
„Schön, dass die Deutschen zusammen sind“
„Selbstverständlich sind wir jeden Montag in Leipzig zur Demo gegangen“, erzählt Abudala Canana, der damals in einer Textilfabrik und dann einer Landmaschinen AG als sogenannter „Vertragsarbeiter“ tätig war und heute in Stuttgart lebt. 1983 mit 20 Jahren aus Mosambik gekommen, um nach der Ausbildung in der DDR zurück in Mosambik zu arbeiten, lernte er anfangs in Mitweida die deutsche Sprache, war in der dortigen Parteischule und erlebte, dass es in dieser Parteischule sogar Bananen im Überfluss gab. In der DDR lebten viele zugewanderte Auszubildende, Studierende und „Vertragsarbeiter“ – in der BRD „Gastarbeiter“ genannt. Höchststand an „Vertragsarbeitern“ gab es im Jahr des Mauerfalls 1989 mit 94.000 Menschen aus sozialistischen Staaten und dem größten Anteil an Vietnamesinnen und Vietnamesen.
Canana war einer von vielen, die im Rahmen der „sozialistischen Bruderhilfe“ in der DDR ausgebildet werden sollten, um dann in ihrem sozialistischen Herkunftsland zu arbeiten.

Er hatte sich nicht dafür eingerichtet, lange zu bleiben, lebte mit guten Kumpels aus der Betriebsschule in einem Viererzimmer im Internat und zog ein Jahr später mit seiner Freundin zusammen in eine Wohnung. „Doch ich wusste auch von vielen deutschen Familien, die durch den Mauerbau getrennt worden waren. Das freie Reisen war unmöglich, daher habe ich mich sehr gefreut, als die Mauer dann fiel“, erzählt er. „Schön, dass die Deutschen jetzt zusammen sind, dachte ich mir.“
Offiziell gibt es keinen Rassismus in der DDR
Auch für ihn selbst gestaltete sich bis zu diesem Zeitpunkt der Alltag immer einfach. Es sei ein Kampf gewesen, sich kulturell richtig zu integrieren und in privaten Lokalen war Rassismus an der Tagesordnung – häufig wurde ihm und seinen Freunden der Zutritt zu einer Disco untersagt. Laut der Verfassung von 1947 war die DDR ein antifaschistischer Staat ohne rechtsextremes Gedankengut oder Rassismus; und so traf er die Menschen, ohne ihn als solchen benennen zu können.
Ausgrenzung passierte überall: „An öffentlichen Orten waren wir nicht erwünscht“, erzählt auch Olimpio Alberto, es gehörte für ihn zu Alltäglichem, in einem Lokal nicht bedient zu werden. Bereits 1981 kam Alberto aus Mosambik im Rahmen der „sozialistischen Bruderhilfe“ und blieb nach der Ausbildung – zwischenzeitlich Vater eines Kindes –, um Politikwissenschaften zu studieren. Auch er war bei den „Wir sind das Volk“-Demonstrationen dabei, bis es für ihn gefährlich wurde. „Es kam zu immer mehr Konflikten zwischen Rechten und Linken, daher habe ich mich dann zurückgehalten.“ Seine Examenszeit fiel in die Zeit der großen Unruhen um den Mauerfall, weshalb die Prüfungen ausgesetzt wurden – scheinbar war nicht mehr klar, was im Hinblick auf die zerfallende DDR noch prüfungsrelevant sein könnte, mutmaßt Alberto. Am Tag der deutschen Einheit 1990 ist sein zweites Kind geboren, so verbindet Alberto bis heute den 3. Oktober vor allem mit dem Geburtstag seines Sohnes.

Sein Wunsch, nach Mosambik zurückzukehren und sich niederzulassen erwies sich als nicht umsetzbar, deshalb gründete Alberto im sächsischen Freiberg ein Bauunternehmen, die Expertise dafür hatte er in Mosambik erworben. Und er erlebte, wie versteckter Rassismus offen ausbrach: „Mit dem Mauerfall ist für mich auch der Vorhang des versteckten Rassismus gefallen“. Nach rassistischen Anschlägen wie in Hoyerswerda 1991 hatte auch er Angst, die Wohnung seiner Familie könne angezündet werden, oft genug musste sich die weiße Mutter seiner Kinder diskriminierende Sprüche anhören, wenn sie mit ihnen unterwegs war.
Während der Mauerfall für die meisten bedeutete, sich frei bewegen zu können, schränkte die Familie von Olimpio Alberto sich zunehmend ein, es gab Orte und Straßen, die sie aus Angst vor Übergriffen mieden. „In Westdeutschland war der Rassismus zu dieser Zeit weit weniger sicht- und spürbar“, berichtet Alberto, der für sein Unternehmen viel durch die Bundesrepublik fuhr, bald auch portugiesische „Gastarbeiter“ beschäftigte und seit 2000 im Solarbereich der Firma Ritter in Waldenbuch arbeitet.
Die Fabrik, in der Abudala Canana gearbeitet hatte, wurde wie viele andere nach dem Mauerfall geschlossen, und er wurde damit einer von vielen, die sich in Ostdeutschland in der Arbeitslosigkeit wiederfanden, so kehrte er nach Mosambik zurück. Doch der Systemwechsel brachte Korruption in den Staat, erzählt Canana, und trotz längerem Versuchen keine Perspektiven für ihn.
Er lebt seit 1997 wieder in Deutschland, anfangs in Regensburg und Nürnberg, bevor er 2001 zu Daimler nach Sindelfingen kommt. Auch Canana erlebte in Westdeutschland das Ausbrechen des Rassismus als weniger stark.
„Wir haben früher in der Schönlebenstraße gewohnt“, erzählt Olimpio Alberto über die Wohnung seiner Familie im ostdeutschen Freiberg; ein Paradies allein des Namens wegen. „Hier ist die Welt in Ordnung, hier kann uns der Rassismus nicht treffen“, das hätten sie immer gesagt. Olimpio Alberto ist heute Vorstandsmitglied beim Forum der Kulturen und im Welthaus Stuttgart. Seit vielen Jahren setzt sich Alberto mittlerweile dafür ein, rassistische Strukturen abzubauen, denn auf den zweiten Blick blieb dann auch Westdeutschland nicht davon verschont.