Prof. Dr. Naika Foroutan: Gesellschaftlicher Zusammenhalt in Krisenzeiten

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Ausgabe: Mai 2025

Für ein stabiles Miteinander – Interview mit Prof. Dr. Naika Foroutan

Das Gefühl der Zugehörigkeit schwindet

Gäbe es eine geringere Ungleichheit in dieser Gesellschaft, würde sich das positiv auf den Zusammenhalt auswirken, ist Prof. Dr. Naika Foroutan überzeugt. Anlässlich des Diversity-Tages hat die Leiterin des DeZIM-Instituts, dem Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung, und Professorin für Integrationsforschung und Gesellschaftspolitik an der Humboldt-Universität Berlin, am 27. Mai 2025 einen Impulsvortrag zum Thema Gesellschaftlicher Zusammenhalt in Krisenzeiten im Stuttgarter Rathaus gehalten.

Liebe Frau Prof. Foroutan, wie ist es aus Ihrer Perspektive momentan um den gesellschaftlichen Zusammenhalt bestellt?

Aktuell erleben wir eine starke Polarisierung entlang der Migrationsfrage. Obwohl Deutschland einen hohen Bedarf an Fach- und Arbeitskräften hat, steht ein großer Teil der Bevölkerung zusätzlicher Migration skeptisch gegenüber. Es kommt zu einer Entfremdung zwischen jenen, die die Bedarfe hervorheben und denjenigen, die vor allem die Grenzen schließen wollen. Das geht auf Kosten des gesellschaftlichen Zusammenhalts, der zunehmend brüchiger wird.

Der Bundestagswahlkampf wurde auch auf dem Rücken von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte geführt – das Thema Migration diente als Problemfeld, an dem sich die Parteien abgearbeitet haben. Wie wirkte sich dieses Vorgehen auf das Gefühl von Zugehörigkeit zu dieser Gesellschaft aus?

Wir haben am DeZIM-Institut eine Studie unter dem Titel Bleiben oder gehen publiziert. Die Befunde zeigen, dass erhebliche Teile der Bevölkerung aufgrund der Politik und des Aufstieges der AfD über Auswanderung nachdenken oder sogar bereits konkrete Auswanderungspläne haben. Das trifft auf fast ein Viertel der Befragten mit Migrationshintergrund zu. Aber auch 11,7% der Deutschen ohne Migrationshintergrund fühlen sich hier nicht mehr wohl und denken darüber auszuwandern. Das Gefühl der Zugehörigkeit schwindet also auch bei ihnen.

Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen dem Gefühl von (fehlender) Zugehörigkeit und gesellschaftlichem Zusammenhalt? Und wie lässt sich positiv daraufhin wirken?

Positiv wäre sicher, wenn das Versprechen der pluralen Demokratie, das im Grundgesetz unter Artikel 3 als Gleichheitsgrundsatz angelegt ist, stärker erfüllt würde. Dort steht: Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen oder seiner Behinderung benachteiligt werden. Das ist ein Leitmotiv, das die Grundlage des Glaubens an die Demokratie bildet. Aber die Ungleichheit in diesem Land ist überall greifbar. Eine neue Bundesregierung sollte die Ungleichheitsschere reduzieren – das würde sich positiv auf den Zusammenhalt auswirken.

Der Bericht zum kürzlich erschienenen Diskriminierungs- und Rassismusmonitor zeigt, wie in besonderem Maße muslimische Frauen und Schwarze Menschen Diskriminierung erfahren. Welche Schlüsse sollten Ihrer Meinung nach daraus für unser Zusammenleben gezogen werden?

Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz hat explizit vulnerable Gruppen im Blick. Ihr Schutzbedürfnis, ihre Erfahrungen mit Alltagsrassismus und Diskriminierung gilt es zu messen – nicht um dem Rest der Bevölkerung ein schlechtes Gewissen zu machen. Sondern weil eine Gesellschaft immer nur so stark ist, wie das schwächste Glied in ihrer Kette. Sprich, wenn es den Gruppen besser geht – dann ist bis dahin so viel passiert, dass auch der Rest der Gesellschaft auf dem Weg dahin aufgestiegen und gleichberechtigter geworden ist. Die Gleichstellung von Minderheiten gilt als ein Gütesiegel funktionierender Demokratien.

Anlässlich des Diversity-Tages werden Sie bei einer Veranstaltung in Stuttgart sprechen. Was braucht unsere Gesellschaft, damit Zusammenhalt in Diversität Normalität sein kann?

Wir dürfen uns von den defätistischen und spaltenden Debatten des letzten Jahrzehnts nicht einschüchtern lassen. Wir müssen mutiger und freundlicher sein, miteinander und zueinander.