„Ich bin ein großer Fan von 80 Prozent!“

Die Stimme der jungen Frau am Telefon klingt super entspannt und freundlich. Beim Zoom-Call ein paar Tage später großes Erstaunen: Die 28-Jährige mit pakistanischen Wurzeln ist vor drei Wochen zum zweiten Mal Mutter geworden, aber sie sieht total relaxed aus, keine Spur von Augenringen… Sehr glaubwürdig! Soha Naeem lacht. „Mein Mann und ich sind entspannt – und meine Kinder sind es auch.“ Wie macht sie das? „Meine Eltern kommen aus Pakistan. Dort gibt es das Wort Stress nicht; man sieht dort vieles als Teil des Lebens. Die Menschen haben ganz andere Probleme – Wasser, Strom, Bildung. Ich weiß, wie gut es uns geht und versuche, diesen inneren Maßstab beizubehalten.“

Aber auch für sie war es erstmal ein Weg zum guten Umgang mit Stress: Soha Naeem ist in Balingen geboren und hat International Business Management studiert; ein halbes Jahr davon in Frankreich. „Ich bin schon mit Angst vor dieser Herausforderung hingegangen und habe dann gemerkt, dass meine Kommilitoninnen eine ganz andere Herangehensweise hatten als ich: Seither bin ich ein großer Fan von 80%! Ich habe dort meinen Perfektionismus aufgegeben, weil ich gesehen habe, dass es auch anders geht.“ Und sie ergänzt lachend: „Meine 80% sind doch die 100% von anderen!“

„Ich habe gelernt, Probleme nicht zu dramatisieren.“

Für ihren Bachelor-Abschluss hat sie eine Zeitlang in Kanada gearbeitet: „Unsere Teams waren so divers – dort versucht man Probleme nicht zu dramatisieren, sondern gemeinsam Lösungen zu finden, freundlich und sehr pragmatisch. Das habe ich auch übernommen.“

Ihr erstes Buch schrieb sie tatsächlich, um eigenen Stress abzubauen: „Beim Master-Studium hatte ich „Persönlichkeit“ als Pflichtfach und habe viele Gespräche geführt, die mich abends noch beschäftigten. Ich habe diese in Geschichtenform gepackt und konnte damit dann einen Punkt setzen.“ Weil ihr Mann auch Lust darauf hatte, machten sie sich gemeinsam an die Veröffentlichung im Eigenverlag und gründeten eine Coachingfirma, auch für Workshops und Vorträge (siehe Seitenleiste).

Hat sie Tipps für „Normalsterbliche“, wie man mit dem alltäglichen Stress umgeht? „Ja! Erstens: Prioritäten setzen. Zweitens: Eigene Erwartungen und die Erwartungen des Umfelds verstehen. Drittens: Etwas Gutes für sich selbst tun. Wir glauben, wir seien eine individualistische Gesellschaft, aber wir sind im Optimierungswahn, wir nutzen jede Sekunde – wir müssen jedoch einen Ausgleich schaffen, Spazierengehen, Sport, Kochen…“ Und wenn man versuche, diese Tipps umzusetzen, sei es ganz wichtig, sich zuerst auf einen kleinen überschaubaren Bereich zu konzentrieren, Schritt für Schritt vorzugehen.

Gibt es überhaupt noch etwas, das sie heute stresst? „Oh, doch – wenn beide Kinder gleichzeitig schreien.“ Aber Soha Naeem weiß ja, was sie dann zu tun hat…