Ayşe Özbabacan

Ayşe Özbabacan ist Integrationsbeauftragte einer Stadt, in der Menschen aus 185 Nationen leben. Rund 48 Prozent der Stuttgarter*innen haben einen Migrationshintergrund.
Foto: Sylvia Rizvi
Ausgabe: April 2025

Stuttgarts neue Integrationsbeauftragte Ayşe Özbabacan im Interview

„Wir tragen Verantwortung für unsere Gesellschaft“

Gesellschaftliche Polarisierung, schwierige Wirtschaftslage und internationale Konflikte– Ayşe Özbabacan übernimmt in Krisenzeiten das Amt der Stuttgarter Integrationsbeauftragten von ihrem Vorgänger Gari Pavković. Die studierte Europa-Expertin setzt auf Kontinuität – und gesellschaftliche Verantwortung.

Sie sind diesen April in Ihr neues Amt gestartet. Welche Schwerpunkte möchten Sie setzen?

Ein zentrales Thema ist der gesellschaftliche Zusammenhalt. Internationale Krisen, der Ukraine-Krieg, der Nahost-Konflikt, politische Entwicklungen in Europa und die aktuelle Stimmung in der Gesellschaft haben Auswirkungen auf die lokale Ebene und auf unsere tägliche Arbeit. Der gesellschaftliche Zusammenhalt ist wichtig und die bestehenden Bündnisse für Integration und Demokratie müssen weiterhin gestärkt werden.
Einen Schwerpunkt möchte ich auch auf die Stadtbezirke legen. Der direkte Austausch mit den Menschen ist wichtig. Es braucht Räume für Begegnungen, um in den Dialog zu treten und auch über unangenehme Themen zu sprechen. Wem zugehört wird, der fühlt sich auch zugehörig.

Wie prägt Ihre eigene Einwanderungsgeschichte Ihre Arbeit?

Ich bin mit sechs Jahren als „Gastarbeiterkind“ mit meiner Mutter und meinen Geschwistern nach Deutschland gekommen. Mein Vater war schon hier. In den 80er Jahren gab es noch keine Sprachkurs- oder Bildungsangebote, wie wir sie heute haben, geschweige denn eine Integrationsabteilung. Ich musste als Kind sehr schnell Deutsch lernen, um klarzukommen und die eigene Familie zu unterstützen, etwa beim Arzt oder bei Behördengängen. Diesen ganzen Integrationsprozess habe ich durchlaufen und verstehe, wie es den Menschen geht. Heute haben wir freiwillige Behördenbegleiter*innen in
den Stadtbezirken, die Neuzugewanderte unterstützen.

Sie haben Karriere in der Stadtverwaltung gemacht. Sind dort ausreichend Menschen mit Migrationsgeschichte beschäftigt?

Es ist noch Luft nach oben, vor allem in der Führungsebene, aber die Stadt hat im Rahmen der interkulturellen Ausrichtung und Öffnung der Verwaltung schon wichtige Maßnahmen unternommen. Bereits 2010 die Azubikampagne Deine Stadt – Deine Zukunft durchgeführt, um Jugendliche mit Migrationshintergrund als Azubis für die Stadtverwaltung zu gewinnen. Mit großem Erfolg, sodass wir den Anteil von Auszubildenden mit Migrationshintergrund in zwei Jahren von 17 auf fast 40 Prozent steigern konnten. Die aktuelle Personalkampagne Stuttgart von Beruf spricht auch viele Migranten als Quereinsteiger an.

Der gesellschaftliche Rechtsruck erleichtert Ihre Arbeit nicht gerade.

Die Stimmung ist nicht einfach, aber wir alle können einen Beitrag dazu leisten, dass die Grundprinzipien unserer liberalen Demokratie vermittelt und gelebt werden.

Ist auch vorgesehen, direkt auf Bürger*innen zuzugehen, die der Zuwanderung kritisch begegnen?

Zielgruppe unserer integrationspolitischen Maßnahmen sind zwar Neuzugewanderte und schon länger hier lebende Migrant*innen, aber das Stuttgarter Bündnis für Integration richtet sich an die ganze Bürgergesellschaft mit und ohne Migrationshintergrund.

Wie können sich Bürger *innen an der Integrationsarbeit der Stadt aktiv beteiligen?

Viele Engagierte setzen sich bereits für Migrant*innen ein, etwa in Freundeskreisen für Geflüchtete, bei der Hausaufgabenbetreuung, der Sprachförderung oder als Willkommenspat*innen. Ich möchte Migrant*innen-Communities noch stärker in unsere Integrationsarbeit einbinden, zum Beispiel um die vielen Dienstleistungsangebote der Stadt in der Altenhilfe für ältere Zugewanderte bekannter zu machen.

Stichwort Haus der Kulturen – dem Forum der Kulturen und vielen Stuttgarter*innen liegt das Projekt sehr am Herzen.

Stuttgart braucht ein Haus der Kulturen – ein Haus für alle Bürger*innen in unserer vielfältigen Stadtgesellschaft. Die Planung dazu machen wir mit dem Forum der Kulturen und weiteren Beteiligten. Nach derzeitigem Planungsstand ist das Haus der Kulturen im ehemaligen Galeria Kaufhofgebäude als Ankernutzung vorgesehen. Gemeinsam mit dem Forum der Kulturen und dem Verein für internationale Jugendarbeit erproben wir das künftige Nutzungskonzept in einem kleinen Prototyp zum späteren Haus der Kulturen. Aktuell organisieren wir Veranstaltungen und evaluieren, wie die verschiedenen Programmangebote angenommen werden. So können wir die Zeit nutzen, bis das Haus der Kulturen real wird. Es könnte durchaus bis 2029 dauern.

Stellen Sie sich vor, die Integrationsstelle bekommt eine Spende von 100.000 Euro. Was würden Sie damit machen?

Ich würde eine Informations- und Dialogreihe in den Stadtteilen organisieren, um Austausch und Zusammenhalt zu fördern und Vereine, die sich hier in besonderer Weise engagieren, finanziell unterstützen, zum Beispiel in der Betreuung der geflüchteten Roma aus der Ukraine.

Ayşe Özbabacan,
geboren in der Türkei, in einer Mittelstadt in Anatolien (Türkei), kam mit sechs Jahren als „Gastarbeiterkind“ nach Deutschland. Sie studierte Rechtswissenschaften und Europastudien. Seit 2006 ist sie bei der Stadt Stuttgart beschäftigt.
Sie hat unter anderem bis 2012 ein vom damaligen OB Wolfgang Schuster initiiertes Netzwerk von 30
europäischen Städten zur lokalen Integrationspolitik koordiniert und war Bosch-Fellow am German
Marshall Fund in den USA.