Ümit Kasikci Fotografie
Into the Night Fotoband,
68 Seiten.
Instagram: the_streets_and_me
Ümüt Kasikci fotografiert das Stuttgarter Nachtleben
„Ich fühle mich den Außenseiter*innen nah“
Vom betrunkenen Pärchen, das gemeinsam am Straßenrand liegt, von Polizisten, die in einer Reihe stehen, bis hin zum Punk, der auf seiner Faust das Wort „Hass“ tätowiert hat, um zu zeigen, dass er gegen Nazis ist: Der Stuttgarter Fotograf Ümüt Kasikci, der in Sindelfingen geboren und aufgewachsen ist und kurdische Wurzeln hat, zeigt in seinem Fotoband Into the Night ein Stuttgart bei Nacht, das alles andere als den gängigen Postkartenmotiven entspricht. Und das ist auch gewollt. „Ich mag das Unverstellte, Ungekünstelte, Unperfekte“, sagt Kasikci, der vor circa sechs Jahren durch seine Lebensgefährtin, die ebenfalls Fotografin ist, zur Fotografie gekommen ist und seither diese entdeckte Passion nebenberuflich lebt. „Zunächst habe ich mich mit Streetfotografie auseinandergesetzt und zwei Werke landeten auch in einem Streetmagazin – unter anderem ein Motiv, auf dem ein Obdachloser an einer S-Bahn-Station schläft. Ich habe mich zwar über die Veröffentlichungen gefreut, jedoch merkte ich, dass mir Motive gefallen, die nicht ‚magazinfähig‘ sind. So bin ich zur Dokumentarfotografie gekommen, die mich bis heute fasziniert.“
Obwohl ich in Deutschland geboren und aufgewachsen bin, fühle auch ich mich manchmal hier nicht zugehörig.
Der 42-Jährige, der hauptberuflich als Werkzeugmechaniker tätig ist, brenne für das Festhalten gewisser Szenen und Situationen, an welchen Menschen einfach vorbeiziehen, die sie nicht wahrnehmen oder die sie aus Scham, Ekel oder anderen Gründen ignorieren. „Es reizt mich, wenn etwas obszön, ungewöhnlich oder eben ganz gewöhnlich und unscheinbar ist. Ich sehe da mehr, denn in diesen Szenen steckt mehr Wahrheit als in gestellten“, erzählt Ümüt Kasikci. „In meinem Fotoband Into the Night zeige ich Szenen aus Stuttgart, die real sind. Es sind viele Menschen zu sehen, die Teil unserer Stadtgesellschaft sind, aber doch außen vor stehen und die sich oftmals – was ich aus Gesprächen erfahren habe – hier nicht zugehörig fühlen. Und ich kenne dieses Gefühl zu gut, denn obwohl ich in Deutschland geboren und aufgewachsen bin, fühle auch ich mich manchmal hier nicht zugehörig. Ich werde wegen meines Aussehens und meines Namens bis heute oftmals als ‚Ausländer‘ abgestempelt und bekomme zu hören, wie gut ich Deutsch sprechen würde.“
Vielleicht sei das Gefühl des „Sich-nicht-zugehörig-fühlens“ ein Grund dafür, Menschen am Rande der Gesellschaft in ihrem So-Sein, völlig ohne Wertung, abzulichten, um sich so mit dem Thema Zugehörigkeit und Akzeptanz auseinanderzusetzen. Deshalb ist ihm eine Botschaft besonders wichtig, die er mit seinen Motiven ausdrücken möchte: „Wir sind hier, uns gibt es auch. Wir sind ein Teil von Stuttgart“. Er spricht bewusst vom „Wir“: „Ich fühle mich den Außenseiter*innen nah. Und wenn ich raus auf die Straße gehe, dann fotografiere ich immer aus nächster Nähe. Ich bin stets selbst mittendrin in der Szene, damit die Menschen, die die Fotos betrachten, auch spüren können, Teil der Szene zu sein – es ist ein Weg, um zwischenmenschliche Grenzen zu überwinden, aber auch um Vorurteile abzubauen. Es ist mir wichtig, in Zeiten von Spaltung, Hetze und sehr beunruhigenden politischen Prognosen in Bezug auf den Rechtsruck zum Nachdenken anzuregen – auch wenn meine Fotos bestimmt manche Menschen vor den Kopf stoßen. Sichtbarkeit ist wichtig – und zwar ohne Wertung!“
Ümüt Kasikci, der ebenfalls viele Länder dieser Welt bereist und auch dort Orte abgeknipst hat, die nicht dem perfekten Urlaubsort entsprechen, betont: „Mir fehlt der Zugang zur ‚perfekten‘ Welt, daher kann ich mit dem Perfekten nichts anfangen. Und es ist Realität: Die Welt ist nicht perfekt und wir Menschen sind es auch nicht. Diesbezüglich wünsche ich mir einfach mehr Ehrlichkeit. Meine Fotografien sind daher ein Appell an Authentizität, am Ablichten der Wirklichkeit – ohne Vorurteile.“ Die ein oder andere negative Rückmeldung habe er zu seinen Werken erhalten – die Motive seien zu dunkel, düster und würden ein Stuttgart zeigen, das es so nicht gebe. Seine Meinung: „Das Gezeigte ist ehrlich, unverfälscht und aus dem Moment heraus entstanden. Es ist keine Maskerade, es gibt keine Fassade, kein ‚Sich-in-Szene-setzen‘ – ich mag eben den Kontrast von Stuttgart, der sich uns im Gesamten offenbart, und dazu gehört auch so manche Ecke der Stadt und vor allem auch die Außenseiter*innen.“
Das Fotoband Into the Night hat 68 Seiten und beinhaltet Fotografien in Farbe und Schwarzweiß. Das Papier, das von einer Stuttgarter Firma stammt, ist griffig und rau, was Ümüt Kasikcis Liebe zum Unperfekten einmal mehr unterstreicht. Das Band kann über seine Website angefordert werden. Eindrücke zu seinen Werken können Interessierte auf seiner Instagramseite sammeln.