Citizen.KANE.Kollektiv

Dickes Blut – eine Familienfeier
6. und 14. Dezember 2025,
jeweils 19 Uhr Essen, 20 Uhr Performance
Naturfreundehaus Steinbergle am Killesberg, S-Nord
www.citizenkane.de

 

Das Citizen.KANE.Kollektiv vorm Naturfreundehaus.
Foto: Erika Palnau
Ausgabe: Dezember 2025 – Januar 2026

Performance von Citizen.KANE.Kollektiv

Die Familien der Anderen

Das interkulturelle Citizen.KANE.Kollektiv stellt sich unausgesprochenen Fragen, die in Familien schlummern. Die Theaterperformance Dickes Blut arbeitet diese Dialoge auf und verlegt sie auf die Bühne einer großen Verwandtenfeier.

Das Bündnis zur eigenen Familie ist vorbestimmt. Wer darin keine Identität findet, entdeckt seine Heimat vielleicht in einer Wahlfamilie aus Freund*innen, Nachbarschaft oder Menschen mit ähnlichen Werten. Doch wie gelingt es, Ängste und Erlebnisse innerhalb der eigenen Familie rechtzeitig zur Sprache zu bringen – vor allem, wenn es um existenzielle Themen wie Identität, Krankheit oder das Älterwerden geht? Dieses Schweigen innerhalb der Familie möchte die künstlerische Wahlfamilie Citizen.KANE mit einer Theaterperformance brechen.

Seit zehn Jahren verbindet das Stuttgarter Kulturkollektiv Theater und Performance. Auch bei bundesweiten Gastspielen und internationalen Festivals vertritt Citizen.KANE die Stuttgarter Theaterszene. Im Zentrum stehen sechs Kunstschaffende, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Cary S. Clay ist Tänzerin und Tanzpädagogin. Sie vertritt das Kollektiv als Choreographin und Performerin. Im Fokus ihres Schaffens stehen rassismus-kritische Formate. Ida Liliom ist Gründerin und Vorstand des Vereins Queerdenker e. V. Im Kollektiv arbeitet sie als Dramaturgin, Performerin und Awarenessbeauftragte. Schauspielregisseurin Malin Lamparter steht bei Citizen.KANE ebenfalls als Performerin auf der Bühne. Maximilian Sprenger ist Performer, Musiker und Schauspieler. Nikita Gorbunov, Tontechniker und Spoken-Word-Poet, ist zugleich Autor, Performer und Musiker des Kollektivs. Christian Müller, Gründungsmitglied und freier Regisseur, prägt Citizen.KANE durch seine Regiearbeiten und übernimmt Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. „Wir haben einen gemeinsamen künstlerischen Hintergrund. Unsere Unterschiede bringen uns zusammen“, sagt Ida.

Vier Wochen vor der Premiere von Dickes Blut. Cary, Ida und Christian sitzen an einem kalten Novemberabend im Citizen.KANE-Büro am Marienplatz zusammen. So kurz vor der Aufführung trifft sich das Kollektiv täglich, um Gespräche auszuwerten und zu proben. Die Stuttgarter Kunstschaffenden haben dafür die Familien der anderen befragt.

„Wir wollten die Mitglieder des Kollektivs besser kennenlernen und eine Grundlage für Fragen schaffen, die in Familien oft verschwiegen werden“, erklärt Cary. „Wir haben einheitliche Fragen zu Kindheitserinnerungen, Enttäuschungen und zum Älterwerden zusammengestellt“, fügt Christian hinzu, der Nikitas Mutter interviewt hat. „Sensible Fragen, die man den eigenen Eltern vielleicht nicht stellen würde.“ Nikitas Vater konnte nicht befragt werden – er lebt in Moskau. „Auch das macht die Antworten aus“, sagt Ida. „Die Abwesenheit mancher Eltern.“

Ida Liliom verlor ihren Vater mit vierzehn Jahren an den Alkohol. „Er stammte aus Ungarn, vermisste seine Heimat und kam in Deutschland nie richtig an. An Weihnachten feierte man in Ungarn gemeinsam mit allen Nachbarn aus der Platte.“ Idas Vater und Großmutter hatten nicht viel: „Sie schmückten, was da war, und sie hatten die Gesellschaft vieler.“ In Deutschland, so Ida, sei das oft anders: Anonymität überwiege. Menschen, die sich in ihrer Herkunftsfamilie nicht wiederfänden, bliebe manchmal nur die Einsamkeit. „Die großen Familienfeiern, bei denen viele Verwandte zusammenkommen, kenne auch ich nicht“, sagt Cary. Ihr verstorbener Vater mit afroamerikanischen Wurzeln wurde aus den USA nach Stuttgart stationiert, als Cary wenige Monate alt war. „Ein Großteil meiner Familie lebt noch in Amerika.“

Aus den gemeinsamen Gesprächen entstanden emotionale Interviews, die das Kollektiv auf Video aufzeichnete. Ida, die mit Christians Eltern sprach, stellte eine starke Verwurzelung im Osten der Republik fest. Diese sensiblen Gespräche mit den Familien der anderen fließen nun in die Performance Dickes Blut ein. Das Setting soll eine familiäre Feier darstellen. „Eine Hochzeit, ein Geburtstag, Weihnachten, vielleicht eine Beerdigung“, sagt Christian. Das Naturfreundehaus hat das Kollektiv als idealen Ort gewählt. „Alles wirkt hier heimelig.“

Die Gäste der Performance versteht Citizen.KANE als Mitglieder einer großen Familie. „Wie bei einer Verwandtschaftsfeier, bei der man die Hälfte der Leute gar nicht kennt“, vergleicht Cary. Jede Familie habe ihre Rituale, erklärt Christian. Daraus entstünden Konflikte – etwa, wenn man den Erwartungen der Familie nicht entspricht. So soll eine Theaterperformance entstehen, die in familiärer Atmosphäre die Grenzen zwischen Tisch und Bühne, Spiel und Leben auflöst. Ein Abend, an dem alles passieren kann.